Meer, Moor, Museum

25. bis 28.05.2023

Unsere letzten Tage in Estland haben wir im Lahemaa Nationalpark verbracht. Der Park liegt eine knappe Autostunde von Tallinn entfernt und besitzt eine große landschaftliche Vielfalt. Es gibt dichte Wälder, Moore und wunderschöne Buchten am Meer.

Moor im Lahemaa Nationalpark
Wälder in unglaublichem Grün

Eine Besonderheit des Naturschutzgebiets sind die riesigen Findlinge, die in den Wäldern und an der Küste liegen. Die Größten besitzen einen Umfang von mehr als zwanzig Metern.

Riesiger Findling im Nationalpark Lahemaa

In der Nähe der Kleinstadt Loksa waren wir auf einem kleinen Campingplatz, der direkt am Meer liegt, wieder fast die einzigen Gäste. Schade eigentlich, denn die Sanitäranlagen und die Küche sind nagelneu und es gibt ein kleines Café. Jeden Tag backt die Inhaberin Berge von frischen Kuchen. Man fragt sich allerdings, wer diese ganzen Backwaren essen soll.

Kunstmuseum in Viinistu

Auf einer Fahrradtour haben wir in dem Ort Viinistu einen Stopp eingelegt und das Kunstmuseum des Sammlers Jaan Manitski besucht. Er war der Manager der Gruppe Abba und nachdem Estland unabhängig wurde, wurde er dort Außenminister. Durch seinen ersten Job muss er zu sehr viel Geld gekommen sein. Seine Kunstsammlung umfasst mittlerweile über 1000 Gemälde und Objekte, vorwiegend estnischer Künstler. In Viinistu hat er eine alte Fischfabrik zum Kunstmuseum umfunktioniert. Die Größe des Museums und die Qualität der Sammlung an diesem sehr abgelegenen Ort überrascht.

Passend zur Reise: 100 Suitcases von Marko Mäetamm und Kaido Ole

Unsere letzte Nacht in Estland verbringen wir auf einem Parkplatz am Jägala Wasserfall, unweit vom Fährhafen. Wir müssen früh raus, denn das Boarding endet um sechs Uhr Morgens. Bereits gegen 10 Uhr sollen wir Helsinki erreichen.

Jägala Wasserfall

Kleines Resümee

Nach sieben Wochen Reise geht unsere Zeit in Polen und den drei baltischen Ländern mit der Überfahrt nach Helsinki zu Ende. Wir haben so viel Zeit in und mit der Natur verbracht wie seit Jahren, vielleicht seit unserer Kindheit, nicht mehr.

Der Frühling ist mit uns gereist. Wir waren immer wieder von all dem Grün in den Wäldern und den Wiesen voller Löwenzahn und Schlüsselblumen, von Störchen, Kranichen und anderen besonderen Vögeln wie dem Bruchwasserläufer begeistert.
Wir haben unzählige Sonnenuntergänge und teils auch -aufgänge erlebt. Nun gehen wir auf Midsommer zu, viele Bäume blühen und duften, es wird bunter. Nachts wird es kaum noch dunkel: Eine neue Erfahrung für uns, von Helligkeit und Vögeln, wie dem Gartenrotschwanz, dem Kuckuck und dem Zilpzalp nachts ab drei geweckt zu werden.

Das Camera Obscura Projekt

Tallinn

25. bis 26. Mai 2023

Das Startbild dieses Blogbeitrags stammt von dem Maler Tiit Pääsuke. Es stammt aus dem Jahr 1974 und heißt, passend zu unserer Reise, »Camping in the woods by car«. Es hängt im Art Museum of Estonia (KuMu).

Das KuMu ist das größte und modernste Kunstmuseum der baltischen Staaten und wurde vom finnischen Architekten Pekka Vapaavuori entworfen.

Lange hat uns kein Kunstmuseum mehr so beeindruckt wie dieses. Das Besondere an den vielen Ausstellungsbereichen: Es werden fast ausschließlich estnische Künstler aller Stilepochen vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart präsentiert.

Normalerweise werden in den großen westeuropäischen Museen für moderne Kunst die allseits bekannten und berühmten Künstler ausgestellt, hier jedoch kannten wir keinen einzigen Namen und hatten dennoch den Eindruck, dass die ausgestellten Werke eine große künstlerische Qualität aufweisen.

Interessant war es für uns, die Unterschiede der künstlerischen Entwicklung zu entdecken: In der Sowjetzeit unterschied sich die Kunst natürlich deutlich von der westlichen. Als Estlands Kunst 1990/91 vollständig neue Wege gehen konnte, änderte sich das künstlerische Spektrum schlagartig.

Tallinn Altstadt und neue Wohngebiete

Tallinn Rathausplatz

Häufig liest man, dass Riga die schönste der baltischen Hauptstädte Städte sei. Das würden wir nach dem Besuch von Tallinn anzweifeln. Diese Stadt besitzt eine besondere Ausstrahlung. In der Innenstadt gibt es neben den üblichen Kitsch- und Souvenirläden, ein großes Angebot an hochwertigem Kunsthandwerk und eine ausgeprägte Kreativ-Szene.

Kreativ-Szene am Telliskivi

Tallinn ist nicht »übersaniert«, obgleich Wandlungsprozesse zu beobachten sind, die auch in anderen Metropolen stattfinden. In Hafennähe entstehen die schicken Wohnviertel der Reichen und der Hipster. Diese Gegenden wirken leblos, steril und besitzen längst nicht Charme der langsam gewachsenen Stadtteile.

Neue Wohnviertel am Hafen

Man sollte Tallinn also jetzt besuchen, denn überall sieht man große Baustellen und das Bild der Stadt wird sich schnell verändern.

Holzhäuser in der Innenstadt

Estland hat eine Gesamtbevölkerung von rund 1,3 Millionen, davon lebt rund ein Drittel in Tallinn und natürlich wohnen längst nicht alle in den schnuckeligen Altstadtvierteln. Um die Stadt herum erstreckt sich ein riesiger Gürtel aus Plattenbausiedlungen.

Was sonst nach passierte

Auf dem Campingplatz in Tallinn stand neben unserem Bus ein winziges Zelt und ein Moped.

Die Nacht war wieder einmal sehr kalt und deshalb haben wir unsere Zeltnachbarin, die gerade draußen ihren Kaffee zubereitete, in den geheizten Bus eingeladen. Eng, aber interessant und gemütlich. Sie kam aus Neuseeland und hatte ihr Moped im Container nach London geschickt. Für sechs Monate reist sie damit durch Europa. Respekt!

Geschichte und Geschichten überall

22. bis 23. Mai 2023

In den vergangenen Tagen unserer Reise sind die Ausflüge mit den Fahrrädern etwas zu kurz gekommen, aber nun wollen wir die Insel wieder mit Muskelkraft erkunden und steuern wir die Nordspitze von Hiiumaa an. Wie an vielen Stellen der Insel soll es dort einen imposanten Leuchtturm geben.

Auf dem Weg dorthin kommen wir an unzähligen militärischen Hinterlassenschaften vorbei: Bunkeranlagen, Beobachtungstürme und Geschützstellungen. Auch ein kleines Militärmuseum gibt es hier. Alle Anlagen sind frei zugänglich und wer möchte kann die Bunker betreten und auf die Türme hinaufklettern. Allerdings sind die Treppen, die dort hinaufführen, oft in einem sehr bedenklichen Zustand.

Die Anlagen wurden ab 1939 errichtet, als Estland einen militärischen Pakt mit Russland schloss und auch nach Kriegsende wurden die Anlagen von Russland und Estland während des kalten Krieges genutzt.

Der Tahkuna Leuchtturm auf der Nordspitze ist wirklich sehenswert. Die Einzelteile des Turms wurden wurden in Paris hergestellt und 1875 vor Ort zusammengesetzt. Leider war der Turm an diesem Tag geschlossen. Gerne hätten wir den Blick von dort oben genossen. Das Leuchtfeuer dieses Turms ist noch in 33 km Entfernung zu sehen.

Besonders berührt hat uns an diesem Ort ein Mahnmahl für jene Kinder, die während des Untergangs der Fähre Estonia ums Leben kamen.

Die Estonia sank zwischen der finnischen Insel Utö und Hiiumaa in der Nacht des 28. September 1994, nachdem sie in einem Sturm aus bislang nicht vollständig geklärten Gründen ihre Bugklappe verlor. Das Fahrzeugdeck lief voll Wasser und die Fähre sank binnen weniger Minuten. Von den fast 1000 Menschen an Bord, konnten nur 137 gerettet werden, darunter kein einziges Kind.

Zwar befand sich eine andere Fähre in der Nähe des Unglücksortes, aber wegen der 10 Meter hohen Wellen, war es schwierig die wenigen Menschen, die es geschafft hatten das Schiff zu verlassen, aus der kalten See zu bergen.

Der Untergang der Estonia ist das schwerste Schiffsunglück, dass sich nach dem Zweiten Weltkrieg auf der Ostsee ereignet hat.

Auf unserer Rückfahrt kamen wir noch auf einer kleinen Version des Kreuzbergs vorbei, den wir ja in Litauen besucht hatten. Hier auf Hiiumaa werden die Kreuze seit 1781 aufgestellt, als etwa 1000 freie schwedische Bauern auf Befehl der der Zarin Katarina II, die Insel zu Beginn des Winters verlassen mussten und in der Ukraine angesiedelt wurden.

Heute soll es Glück bringen, an dieser Stelle ein Kreuz aus Naturmaterialien aufzustellen.

Nach unserer Rückkehr zu unserem Stellplatz wartete wieder die Sauna auf uns und was fast noch besser war, auch die Waschmaschine.

Auch am nächsten Tag stand wieder eine Radtour zur Besichtigungen von Leuchttürmen auf dem Programm.

Irgendwie haben hier alle Leuchttürme eine interessante Geschichte. Der Leuchturm von Kapo ist der drittälteste Leuchtturm der Welt. Mit dem Bau wurde auf Wunsch der Hanse im Jahre 1514 begonnen und die Fertigstellung erfolgte im Jahr 1531. Das Feuer, welches man auf dem pyramidenförmigen Bauwerk entfachte, war 26 Seemeilen weit sichtbar. 1649 wurde der Turm aufgesetzt, um die Sichtbarkeit des Leuchtfeuers noch zu erhöhen. Seither wurde der Turm baulich kaum verändert.

Der Leuchturm Kapo auf der Insel Hiiumaa

An unserem letzten Tag auf der Insel Hiiumaa kamen wir an einer Wollmanufaktur vorbei, in der auf uralten, musealen Maschinen die Wolle von den Inselschafen zu Garn und anschließend zu wunderschönen Pulvern, Jacken, Mützen etc. verarbeitet wird. Leider werden wir immer wieder vor dem Problem stehen, dass alle Schränke und Fächer im Bulli vollständig vollgestopft sind und wir von den schönen Sachen, die wir unterwegs finden, kaum etwas mitnehmen können. Aber für ein Paar Hüttenschuhe war noch Platz.

Die Wollmanufaktur HiiuVill

Was sonst noch geschah

Bei schönem Wetter haben wir zum ersten Mal in diesem Jahr in der Ostsee gebadet. Dannach haben wir auf Google die Wassertemperatur recherchiert: Es waren 8 bis 10 Grad. Hätten wir das vorher gewusst, wären wir vermutlich nicht hineingegangen.

Und dann blieb noch etwas Zeit für Aufnahmen mit der Camera Obscura am Strand.

Unterwegs auf Schotterpisten

19. bis 21. Mai

Wir befinden uns nach wie vor auf der Insel Saaremaa und bewegen uns in Richtung der Naturschutzgebiete, die sich im Westen und Norden der Insel befinden.

Unterwegs befahren wir mit unserem Bus eine lange Schotterpiste, die vor der kleinen Insel Kärisilma endet. Von der Hauptinsel führt Wanderweg auf diese Insel, der stellenweise durch Wasserläufe unterbrochen wird. Uns war jedoch nicht klar, dass die Wassertiefe an einigen Stellen Brusttiefe erreicht. Offiziell ist der Wanderweg derzeit gesperrt und so haben wir auf das Experiment verzichtet, zu Fuß Kärisilma zu erreichen.

Die kommenden zwei Tage werden wir an den idyllischen Campsites des Naturschutzgebietes übernachten. Es gibt dort Feuerstellen, Holzbänke und meist überraschend saubere Plumpsklos. Wasser ist hingegen nicht vorhanden. Wir waschen uns Geschirr daher im Meer und müssen mit einer Katzenwäsche auskommen. Zum Baden ist das Wasser zu flach.

Abwasch in der Ostsee

Nach unserem Erlebnis mit der Schotterpiste am Vormittag, unternehmen wir am Nachmittag einen Ausflug mit unseren nun völlig verstaubten Fahrrädern. Auch diese Fahrt führt uns viele Kilometer über Schotterpisten der üblen Sorte. Die Wege gleichen an einigen Stellen geschotterten Bahnstrecken und sind an manchen Stellen nicht mit unseren Rädern befahrbar. Ziemlich frustriert und erledigt beenden wir diese Tour, die überdies durch recht eintöniges Gelände führte, vorzeitig. Belohnt werden wir jedoch mit einem wunderbaren Stellplatz direkt am Meer.

Am nächsten Tag sind wir schlauer: Wir vermeiden diesmal sowohl mit dem Bus als auch mit den Fahrrädern Schotterpisten. Überraschenderweise ist die kleine Küstenstraße bis zum Ende asphaltiert, auf der wir die etwa 20 Meter hohen Kliffs von Panga erreichen. Bis zum Ende des kalten Kriegs wurden sie vom russischen Militär als Beobachtungsposten genutzt. In einer weiter östlich gelegenen Bucht finden wir uns einen neuen Stellplatz.

Selbstportät auf den Klippen von Panga
Wasser wie in der Südsee

Auf einer Fahrradtour am Nachmittag entdeckten wir dann den Hafen Triigi, wo die Fähre zur Insel Hiiumaa startet und finden in der Nähe einen noch viel schöneren Stellplatz.

Wir treffen spontan zwei Entschlüsse: Der Bus wird umgeparkt und am nächsten Morgen wollten wir die Fähre nach Hiiumaa nehmen. Einen Besuch dieser Insel hatten wir bislang nicht geplant.

Die Fähre nach Hiiumaa

Am Abend wurde es nervig, weil wir online die Fähren nach Hiiumaa und Helsinki buchen wollten. Wer schon einmal Onlinetickets für Flüge gebucht hat, weiß, was ihn erwartet. Der Prozess bricht kurz vor Ende ab, die Bezahlung funktioniert nicht, die gewünschte Verbindung ist ausgebucht und eine andere zu teuer… Man kann Stunden mit diesem Prozedere verbringen. Manchmal kann man diese digitale Welt verfluchen.

Auf die kleine Fähre nach Hiiumaa passen maximal 30 PKW

Am Morgen des 21. Mai hatten wir eine entspannte Fahrt mit der Fähre zur Nachbarinsel. Nur noch schnell tanken, ein Stellplatz mit Dusche suchen und dann einen ruhigen Tag einlegen. Der Fehler war das Tanken. Auf Hiiumaa gibt es nur ein paar tausend Einwohner, aber dennoch sind einige Tankstellen über die Insel verteilt. Eine Tankstelle besteht hier aus einem großen Benzintank, einer Zapfsäule und einem Kartenleser, der nur estnisch versteht. Dort steckt man seine Visakarte ein, sieht irgendwelche estnischen Anweisungen, die man nicht versteht, und die Zapfsäule wird freigegeben. Wir hatten für 30,- Euro getankt und es nicht hinbekommen, dem Automaten eine Quittung zu entlocken. Einige Kilometer später der Schock: Eine Push-Nachricht der Bank über einen Betrag von 200,- €. Ein Kontakt zur Bank brachte dann jedoch die Erlösung. Es war nur der tatsächliche Tankbetrag abgebucht worden.

Tankstelle auf Hiiumaa

Ab da wurde dann alles gut. Wir fanden einen einfachen aber guten Platz, wo wir von dem netten finnischen Betreiber mit vielen Informationen versorgt wurden und sogleich das Angebot erhielten am Abend die Sauna zu besuchen und dies ohne jeglichen Aufpreis!

Am Abend entdeckten wir einen kleinen Hafen, der wie die Kulisse aus einem Aki Kaurismäki Film aussieht. Es fehlt nur noch die Handlung und zwei bis drei Schauspieler, die während des Films nur wenige Sätze sprechen.

Impressionen unterwegs

Besonders kunstvoll gestaltetes Plumpsklo
Besonders gemütliches Bushäuschen

Reif für die Inseln

17. und 18. Mai 2023

Auf dem Weg zum Fährhafen Virtsu, von wo aus wir auf die Insel Muhu übersetzen wollen, haben wir die Straßen oft für viele Kilometer ganz für uns alleine. Kein Fahrzeug kommt uns entgegen und keines fährt hinter uns.

Es ist die erste Überfahrt mit einer Fähre für unseren Bulli und sie hätte gerne länger dauern können. Die Einheimischen suchen zielstrebig die Kantine des Schiffes auf und auch wir gönnen uns während der halbstündigen Überfahrt eine kleine Mahlzeit.

Muhu ist eine kleines, der großen Schwesterinsel Saaremaa vorgelagertes Eiland. Die beiden Inseln sind durch einen Damm miteinander verbunden. Wir wollen Muhu jedoch nicht nur als Transitinsel nutzen und fahren in ein altes Fischerdorf, welches mittlerweile ein bewohntes Freilichtmuseum ist, dass das Leben einer Gemeinde in früheren Zeiten zeigt.

Auf der Insel Saaremaa steuern wir einen kleinen Jachthafen an, wo wir übernachten möchten. Dort stürmt es so stark, dass wir den Bus nur für wenige Minuten verlassen können. Auch im Innern des Busses spüren wir den Sturm deutlich, weil das Fahrzeug immer wieder deutlich schwankt.

Auch wenn es nicht so aussieht: Der Sturm war heftig

Am nächsten Morgen hat sich der Sturm gelegt und die Sonne strahlt wieder. Aber es ist weiterhin sehr frisch und eine Wolke von Mücken schwirrt um den Bus. Daher entscheiden wir uns drinnen zu Frühstücken.

An diesem Tag wollen wir die Inselhauptstadt Kuressare und den südlichen Teil der Insel erkunden.

Auf dem Weg dorthin kommen wir an einem Meteoritenkrater vorbei, der rund 50 Meter Durchmesser hat und zehn Meter tief ist. Man nimmt an, dass der Meteorit 2 bis 8 Tonnen Gewicht hatte und vor mehr als 3000 Jahren einschlug.

Nach der Besichtigung von Kuressare, fahren wir immer dicht am Meer entlang zum Leuchtturm Sörve, der seit dem Mittelalter (zu dieser Zeit natürlich in anderer Bauform) am Ende der langgezogenen Südspitze den Seefahrern den Weg weist.

Auf dem Weg zu unserem nächsten Stellplatz fahren wir über Schotterpisten durch wunderschöne Naturschutzgebiete direkt am Meer entlang.

An den Straßen findet man immer wieder individuell gestaltete und eingerichtete Bushäuschen

Der Besitzer des Stellplatzes und seine Frau begrüßen uns sehr herzlich und meinen, dass dies die beste Zeit für eine Reise auf die Inseln sei, weil man die Insel und die Stellplätze fast für sich alleine hat.

Am Abend gehen wir am Meer entlang und finden eine ehemalige Funkstation, die vermutlich der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg diente. Die Deutschen hatten sich im Krieg für vier Jahre auf der Insel »eingenistet«.

Estland

14. bis 16. Mai

Wir verlassen Lettland in Richtung Estland, dem kleinsten und nördlichsten der baltischen Staaten. Estland ist etwas kleiner als Niedersachsen und es wird von rund 1,3 Millionen Einwohnern bevölkert.

Auf dem Weg zur Grenze geraten wir in einen langen Militärkonvoi. Wie Lettland, so grenzt auch Estland an Russland und wir nehmen auf unserer Reise durchs Baltikum eine deutliche Militärpräsenz wahr. Auch die Solidarität mit der Ukraine wird häufig sichtbar. An vielen Stellen weht die ukrainische Flagge.

Wie dünn Estland besiedelt ist, erleben wir direkt nach dem Grenzübergang. Lange Zeit fahren wir über eine schnurgerade Straße durch Wälder, ohne auf Siedlungen zu treffen.

Unser erstes Ziel ist das Naturschutzgebiet Soomaa. An der Verdopplung der Vokale in der Schriftsprache ist die kulturelle Nähe zu Finnland ablesbar.

Im Naturschutzgebiet Soomaa gibt es eine Reihe von Plätzen, wo man campen darf. Dort steht immer ein Plumpsklo und es gibt Zugang zu Wasser. Entweder einen Bach, bzw. Fluss oder Wasser aus dem Hahn.

Unser Waschzimmer

Soomaa ist ein riesiges Sumpf- und Moorgebiet. Noch jetzt stehen die Wälder unter Wasser und können nur über Bohlenpfade betreten werden. Nach der Schneeschmelze im Frühjahr steht das Gebiet teilweise so stark unter Wasser, dass man es nur mit dem Boot durchqueren kann.

Auch dieses Naturschutzgebiet ist wieder einzigartig. Wir sehen Biberbauten und eine reiche Flora und Fauna.

Das Highlight des Parks ist allerdings ein riesiges Hochmoor, welches sich ganz abrupt rund acht Meter aus dem Sumpfwald erhebt. Das mächtigste Hochmoor Europas, mit einem Erscheinungsbild wie aus dem Lehrbuch.

Nach dem Frühstück am nächsten Morgen besuchen wir ein weiteres Hochmoor, wo wir uns spontan zu einem Bad in einem der vielen Moortümpel entschließen. Lange halten wir es im karamellbraunen Wasser jedoch nicht aus, da es noch ziemlich kalt ist.

Unser nächstes Ziel sind die Inseln Muhu und Saanemaa. Bevor wir dorthin übersetzen, legen wir noch zwei Tage Ruhepause am See Ermistu ein. Dort müssen wir das erste Mal auf unser Reise unserer gesamtes Mückenschutzequipment einsetzen, um uns vor den Plagegeistern zu schützen. Die Bustür und die Fenster werden mit Mückenschutzgaze zugehängt und vor dem Bus kommen Autan und Anti-Mücken Duftstoffe zum Einsatz.

Rigaer Bucht

12. bis 13. Mai

Unser Plan ist es, nach Westen zur Rigaer Bucht zu fahren und von dort aus entlang der Küste in Richtung Estland zu reisen. Wir steuern den Küstenort Tuja an, wo sich laut unserer Recherche ein geöffneter Campingplatz befinden soll. Bei der Ankunft stellt sich heraus, dass auch dieser offiziell noch geschlossen ist, wir aber gegen geringes Entgelt dort stehen können. Es gibt es eine offene Dusche, was uns zunächst natürlich nicht stört. Allerdings haben an diesem Wochenende auch viele Einheimische ihre Reiselust entdeckt und so befinden sich am Ende des Tages etwa 50 Personen auf dem Platz, was teilweise zu erheblichen Wartezeiten an der Dusche führt.

Keine Kunst, sondern Pollen am Strand

Insgesamt werden die Campingplätze inzwischen etwas voller und wir treffen auf allerlei verschiedene Menschen. Kleine Anekdote am Rande: In den vergangenen Wochen sind auch auf einige deutsche Camper gestoßen, deren erster Satz nach der Begrüßung lautete: »Eigentlich sind wir Freisteher. Wir sind nur hier, weil wir mal Wäsche waschen/Duschen/Wasser auffüllen wollen.« Viele scheinen den Besuch eines Campingplatzes fast als Makel zu verstehen. Wir haben auf unserer Reise erlebt, dass Einheimische mit viel Ideenreichtum, Engagement und Arbeit, paradiesische Plätze geschaffen haben. Mit dem Besuch eines Campingplatzes (wir wählen meist die kleinen individuellen) können wir der Region und den Menschen etwas zurückgeben und dabei gleichzeitig der Umwelt etwas Gutes tun, da Müll-, Abwasser- und Fäkalienentsorgung etc. umweltschonend organisiert sind.

Doch nun zurück zur Rigaer Bucht

Als wir am Tag unserer Ankunft den Versuch unternahmen, den Küstenstreifen mit dem Fahrrad zu erkunden, war dies die erste enttäuschende Unternehmung unserer Reise. Obwohl die Strecke innerhalb eines ausgewiesenen Landschaftsschutzgebietes verlief, fuhren wir fast ausnahmslos an Privatgrundstücken vorbei. Überall Schilder, die den Durchgang zum Strand untersagten. Nur an einer Stelle gab es die Möglichkeit, das Meer zu erreichen. Irgendwann wurde selbst der Küstenweg als privat gekennzeichnet und eine Weiterfahrt war nicht möglich.

Da es fast windstill war und die Bucht durch vorgelagerte Inseln geschützt ist, dümpelte die Wasseroberfläche ganz lethargisch vor sich hin. Wegen des geringen Salzgehalts in der Bucht gibt es vermutlich nur wenige Meeresbewohner und deshalb auch nur wenige Küstenvögel.

Unser Fazit: Es gibt spannendere Küsten.

Aber die Sonnenuntergänge waren fantastisch.

Ist das noch Urlaub…?

10. bis 11. Mai 2023

Vor einigen Tagen hat uns eine Freundin gefragt: »Ist das noch Urlaub oder fühlt sich das anders an?« Eine Frage, die uns seither immer mal wieder durch den Kopf ging. Tatsächlich fühlt es sich nicht so ganz nach Urlaub an. Wenn man von unseren Aktivitäten ausgeht, sind wir tatsächlich noch im Urlaubsmodus. Es gibt noch relativ wenige Ruhepausen. Wir agieren noch so, als ob wir die üblichen zwei bis drei Wochen Urlaub zur Verfügung hätten.

Unterschiede stellen wir im Kontakt mit der Familie und mit Freunden fest, denn wir werden uns vermutlich lange Zeit nicht sehen. Manchmal sorgen wir uns und fragen uns, ob zu Hause in Deutschland alles ohne uns funktioniert. Und teils fällt es uns schwer, nicht so stark an Ereignissen, die die Familie und auch Freunde betreffen, Anteil nehmen zu können.

Ein Unterschied zum »normalen« Urlaub besteht auch in der Organisation des Alltags. Im Urlaub wird die dreckige Wäsche halt eingepackt und nach der Rückkehr zu Hause gewaschen. In unserem Reisealltag müssen solche Haushaltsaufgaben vor Ort geplant und organisiert werden. Mehr Zeit beanspruchen auch die Planung der nächsten Reiseziele, Suche nach Campingplätzen und Einkaufsmöglichkeiten.

Aber um zur Ausgangsfrage zurückzukehren: Vermutlich wird sich die Art, wie wir reisen, in den kommenden Wochen und Monaten noch verändern und das Urlaubsgefühl könnte allmählich weichen.

Doch nun zu den Aktivitäten der vergangen Tage.

Rote Felsen am Altarm der Gauja

Wir befinden uns nach wie vor im Gauja Naturschutzgebiet, haben jedoch den Ort gewechselt und stehen jetzt für drei Tage an einem wunderschönen kleinen See, der sich im Zentrum des Parks befindet.

Allerdings verlaufen die Touren auch hier zu zwei Dritteln auf Sand-, Kies- und Waldwegen. Die Fahrräder müssen also oft geschoben werden und unsere Durchschnittsgeschwindigkeit von 9 km/h auf Sandwegen ist manchmal frustrierend.

Am 11. Mai haben wir uns ein ganz besonderes Spezial gegönnt: Eine Kajaktour auf dem Fluss Gauja, der malerisch und ohne jegliche Eingriffe von Menschen, durch den Park mäandert.

Vom Besitzer des Campingplatzes wurden wir mit Schwimmwesten und einem wasserdichten Sack (der war wirklich notwendig) ausgestattet und mit dem Boot auf einem Anhänger zur Einstiegsstelle gebracht. Einige Stunden später würde er uns an einer im Frühjahr zerstörten kleinen Holzfähre wieder abholen.

Das Wetter war traumhaft: Sonnig, aber nicht zu heiß, weil sich ab und zu eine Wolke vor die Sonne schob. Das wunderbare Szenario dieser Fahrt lässt sich kaum beschreiben, da sagen die Bilder vermutlich mehr.

Nach etwa zwei Drittel der Strecke gerieten wir in Stromschnellen, die normalerweise nicht so stark sind. Aktuell führt der Fluss jedoch viel Wasser und eine Welle schwappte ins Boot und machte uns ordentlich nass. Eine weitere Herausforderung war der Endpunkt unserer Fahrt, weil die Fließgeschwindigkeit des Flusses recht hoch war, schafften wir es nur mit Mühe an der vereinbarten Stelle zu stoppen und das Boot an Land zu ziehen.

Aber gerade wegen dieser Schwierigkeiten wird diese Kajak-Tour zu einem unvergesslichen Erlebnis werden.

Da wir gerade kein WLAN zur Verfügung haben, können wir keinen Film dieser Tour einstellen. Vielleicht gibt es in einigen Tagen noch einen Nachtrag.

In lettischen Nationalparks

06. bis 08. Mai

Am Morgen des 6. Mai brachen wir bereits um 5:30 Uhr auf, um noch die Stadt zu verlassen, bevor die Straßen für den Stadt-Marathon gesperrt würden. Und wir waren keineswegs zu früh: Auf der Straße, die zu unserem Stellplatz führte, wurden bereits die ersten Vorbereitungen für den Lauf getroffen.

Wir fuhren in den Kemeru Nationalpark, der etwa 30 km westlich von Riga liegt. Nach einem kurzen, improvisierten Frühstück wanderten wir bei Sonnenaufgang über einen Bohlenweg durchs Moor und waren zu dieser Tageszeit die einzigen Besucher in dieser einzigartigen Landschaft. Das Moor hat seine Bezeichnung in diesem Gebiet tatsächlich verdient. Wenn man den Bohlenpfad an irgendeiner Stelle verlässt, würde man sofort im Moor feststecken.

Am Nachmittag machten wir uns an der Ostseeküste von Jurmala auf die Suche nach einem Stellplatz. Vergeblich: Zwei Plätze sahen sehr verfallen aus und waren dauerhaft geschlossen und auch beim dritten Versuch hatten wir kein Glück. Was nun? Freistehen ist in dieser Gegend kaum möglich. Wir waren müde und hungrig von unseren Touren durch den Nationalpark und wollten uns bei einer Rast in einem Restaurant eine Alternative überlegen.

Wir entschieden uns eine weitere Strecke in Richtung Osten zu fahren, um den Ort Sigulda anzusteuern, der am Rand des Gauja Nationalparks liegt. Dort legten wir wieder einen dringend notwendigen Haushaltstag ein.

Am Nachmittags erkundeten wir mit den Fahrrädern das tief eingeschnittene Tal des Flusses Gauja. Eine sehr anstrengende Tour, da 240 Höhenmeter zu bewältigen waren und der sogenannte »Fahrradweg« oft an steilen Treppen und in unwegsamen Gelände endete.

Stellplatzromantik

Heißluftballons über dem Stellplatz

Lettlands Hauptstadt Riga + kurzes Zwischenfazit

03. und 04. Mai 2023

Wir haben die Grenze von Lettland überquert und Riga erreicht. Zwei Tage verbrachen wir damit, die lettische Hauptstadt zu erkunden. Wir schlenderten durch die Altstadt, entdecken die Markthallen (mehrere ehemalige Zeppelinhallen) und erkunden mit den Fahrrädern die angrenzenden Wohngebiete mit ihren schönen Holzhäusern und der imposanten Jugendstil Architektur.

Die Stadt wird durch den breiten Strom Daugava getrennt. In der Mitte befindet sich eine Insel, auf der sich sehr zentral unser Stellplatz befindet.

Obwohl die Sonne den ganzen Tag strahlend scheint, ist es ist weiterhin bitterkalt und es weht ein eisiger Wind.

Unsere Abreise aus Riga ist komplizierter als geplant. Wegen eines Stadtmarathons ist der gesamte Innenstadtbereich – dazu gehört auch die besagte Insel – ganztägig gesperrt. Wir müssen daher sehr früh aufstehen und abfahren oder einen weiteren Tag hier verbringen. Wir entscheiden uns für die erste Variante.

Doch nun zum angekündigten kurzen Zwischenfazit

Wir sind jetzt vier Wochen unterwegs, haben drei Ländergrenzen überquert und dabei 2500 km mit unserem Bus und über 400 km mit dem Fahrrad zurückgelegt.

Häufig waren wir auf Nebenstrecken unterwegs und benötigten dabei ca. zwei Stunden für 100 km.

Uns wurde bewusst, dass der April nicht die optimale Reisezeit für Polen und das Baltikum ist. Die Temperaturen sind noch sehr niedrig. Touristische Infrastruktur ist deshalb kaum vorhanden: Sehr viele Stellplätze und gastronomische Betriebe sind noch geschlossen. Ein Vorteil dieser Reisezeit war aber, dass viele Campingplatzbesitzer Zeit für uns, für Tipps und für interessante Gespräche hatten und wir so vieles über Land und Leute erfahren haben.

Eine für uns spannende Frage kann jetzt beantwortet werden: Der angepeilte Tagesetat für die Lebenshaltungskosten von 75,- € wird vermutlich ausreichen.

In Polen und den baltischen Ländern lagen wir sogar etwa 25 % unter unserem selbstgewählten Tagessatz. Dass die Lebenshaltungskosten bislang so gering ausfielen, liegt auch daran, dass wir meist selbst gekocht haben. In vielen Gebieten waren Restaurants noch nicht geöffnet.

In den nordischen Ländern werden wir diesen Puffer vermutlich mit Leichtigkeit wieder aufbrauchen.

Wie verteilt sich unseren Reiseetat?

Rund 40 % haben wir für Stellplätze ausgegeben.

23 % entfallen auf Diesel und Parkgebühren.

Nur 10 % haben wir in Lebensmittelmärkten gelassen. (Allerdings hatten wir auch ein paar Vorräte dabei)

Der Rest verteilte sich auf Eintrittsgelder, Café- und Restaurantbesuche, Eintrittsgelder sowie Bus- und Bahntickets.

Zum Schluss möchten wir uns bei den vielen regelmäßigen Besuchern unseres Blogs bedanken. Wir hatten nicht damit gerechnet, dass Ihr/Sie uns so intensiv auf unserer Reise begleiten.

Google hat uns verraten, dass der Blog in den ersten vier Wochen bereits fast 500 Mal besucht wurde. Das ist natürlich ein Ansporn für weitere Berichte.