Zwischen kaltem Krieg, heidnischen Bräuchen, Religion und heiler Natur

02. bis 04. Mai 2023

In den vergangenen Tagen ist es immer kälter geworden und diese Kälte macht uns zu schaffen. Wir haben alle wärmenden Kleidungsstücke angezogen, die wir mitgenommen haben, selbst Schal und Handschuhe, weil das Thermometer tagsüber nur 4 bis 8 Grad erreicht. In den Nächten gibt es teilweise noch Nachtfröste und wir benötigen alle Decken und dicke Socken, um möglichst wenig zu frieren. Die Dieselheizung wollen wir nicht die ganze Nacht durchlaufen lassen.


Von der Ostsee fahren wir ins Landesinnere. Unser Ziel: der Zemaitija National Park. Im Hauptort Platelial suchen wir die Touristeninformation auf, um uns nach einem Stellplatz zu erkundigen. Im Büro knistert ein Kaminfeuer und eine freundliche Parkrangerin zeigt uns auf einer Landkarte mögliche Stellplätze. Auf die Frage, ob es auch Toiletten gibt, meint sie nur trocken, dass wir doch in den Wald gehen sollen.


Cold war Museum

Abdeckung eines Raketenschachtes

Unser erstes Ziel ist das Cold War Museum. Tief im Wald versteckt errichtete das russische Militär eine geheime Abschussanlage für atomare Mittelstrecken-Raketen mit den Zielen Deutschland und Nordeuropa. An der Oberfläche sind nur vier Betondeckel sichtbar, welche die 30 Meter tiefen Schächte verschließen. Die gesamte Anlage mit allen technischen Einrichtungen befindet sich unter der Erde. Russland investiert im kalten Krieg 50 % seines Bruttoinlandsprodukts in die Rüstung. Die Kosten für den Bau dieser Anlage hätten ausgereicht, um eine Kleinstadt zu errichten. Vor 15 Monaten hätte man bei einem Besuch der Anlage gedacht: »Gut, dass dieser Wahnsinn beendet wurde.« Nun findet der reale Krieg in unmittelbarer Nähe mit unfassbarer Brutalität statt.

Russisches Schulungsplakat: Wie man sich im Falle eines Atomangriffs wirkunsvoll schützt


Der krasse Kontrast zu dieser Abschussbasis für Atomraketen, die in der Lage gewesen wäre, große Teile Europas in Schutt und Asche zu legen, ist die Natur, die diese Anlage umgibt. Zu Sowjetzeiten streng bewacht, ist dieses Gebiet heute Naturschutzgebiet.

Maskenmuseum


Am nächsten Morgen regnet es und wir besuchen in Platelial ein Museum für Faschingsmasken. Wie bei der alemannischen Fasnacht versucht man mit diesen schaurig schönen Masken den Winter zu vertreiben. Wir sind beeindruckt, in welcher Vielfalt und Kunstfertigkeit diese Masken bis in die heutige Zeit hergestellt werden.

Der Berg der Kreuze


Wir verlassen den Nationalpark in Richtung Lettland und wollen auf dem Weg noch einen Ort besuchen, den man bei einer Reise durch Litauen nicht verpassen sollte: der Berg der Kreuze. An diesem Wallfahrtsort, werden seit 1830, dem Novemberaufstand gegen die russische Obrigkeit, Kreuze aufgestellt, um den Getöteten zu gedenken. Heute nutzen die Besucher den Ort meist, um einen Wunsch oder einen Dank auszusprechen. Im Laufe der Jahre ist ein Wald aus hunderttausenden von Kreuzen gewachsen. Viele wurden sehr individuell gestaltet. Größere Kreuze wurden mit Rosenkränzen und kleineren Kruzifixen behängt. Ältere Kreuze zerfallen und neue kommen hinzu und der Kreuzwald breitet sich immer weiter aus. Egal welcher oder ob man einer Religionsgemeinschaft angehört, dieser Ort ist sehr mystisch und beeindruckend.

Zum Schluss: Stellplatzromantik

Endlich Ostsee!

30.April bis 2. Mai 2023

Auch wenn die Fahrzeit deutlich länger ist, wählen wir die landschaftlich schönere Strecke entlang der Memel, um an die Ostseeküste zu gelangen. Kathrin schlägt vor, dass wir einen Abstecher ins Flussdelta der Memel machen sollten. Allerdings kommen wir nicht wie erhofft ans Wasser, sondern landen auf einer 10 Kilometer langen Schotterpiste durch ein Waldgebiet, welches Google Maps als einzige Verbindung zu unserm Ziel vorschlägt. Tatsächlich benutzen erstaunlich viele Fahrzeuge diesen Weg. Ordentlich durchschüttelt erreichen wir einen Jachthafen vor der Kurischen Nehrung, wo wir unser heutiges Nachtlager aufschlagen wollen. Jachthäfen sind unsere Lieblingsstellplätze. Dort gibt es meist einen wunderbaren Blick auf die Schiffe und das Meer und immer sanitäre Anlagen. In diesem Fall war der Ort jedoch nicht zu empfehlen und wir mussten schnell die Flucht ergreifen, weil bei jedem Schritt durch das Gras hunderte von Stechmücken aufflogen. In kürzester Zeit war unsere Kleidung und der Bus voller Mücken.

Also fuhren wir weiter und fanden etwas nördlich von Klaipeda einen offenen Campinglatz der nur drei Minuten Fußweg von der Ostsee-Steilküste entfernt liegt. Auch hier waren wir zunächst die einzigen Gäste.

In der Nähe des Campingplatzes haben wir eine Ferienanlage entdeckt, die aussieht wie ein »Lost Place«, aber keiner ist. Die Anlage wird aktuell immer noch für Kinder Ferienfreizeiten genutzt. Die Gebäude erinnerten uns stark an die Freizeiteinrichtungen der DDR, die wir kurz nach der Wende an der Ostsee gesehen hatten.

Tagesablauf im Ferienlager

Am 1. Mai fuhren durch die Wälder nach Klaipeda. Weil der Weg sehr gut ausgebaut ist, hatten wir die 14 Kilometer bis zur Innenstadt schnell bewältigt. Im Süden ist Klaipeda geprägt von großen Industrieanlagen. Im Innenstadtbereich befindet sich ein überschaubarer Altstadtbereich und jede kilometerlange Kaianlagen zur Abfertigung großer Personenfähren oder von Frachtschiffen.

Am Tag darauf fuhren wir mit den Fahrrädern nach Palanga, ein mondänes Seebad mit breitem Sandstrand. Hier findet man eine Mischung aus alter Bäderarchitektur, Disneyland und Ferienarchitektur für Neureiche.

Der Fahrradweg entlang der Küste ist wieder sehr gut ausgebaut und führt durch ein Naturschutzgebiet. Wir sehen eine Kormoran-Siedlung, hören und sehen einen Raben und Wölfe. Letztere befinden sich allerdings in einem Gehege eines privaten »Wolfssammlers«.

Schlafbäume der Kormorane

Litauen: Entlang der Memel

27. bis 29. April 2023

Wir haben Polen in Richtungen Litauen verlassen. Vom Nationalpark Wigry zur Grenze sind es nur weniger als 50 km. Unser erstes Ziel ist die Stadt Kaunas, die mit rund 300.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Litauens ist. Dort wollen wir ein bis zwei Tage verbringen, was sich jedoch schwieriger gestaltetet als gedacht. Ein Stellplatz soll laut Website des Betreibers ganzjährig geöffnet sein, wir stehen jedoch bei der Ankunft vor einem verschlossenem Tor. Was vielleicht auch besser so ist, weil sich dieser Ort zwischen zwei Hauptverkehrsstraßen in einem Gewerbegebiet befindet. Auch die Anrufe bei zwei weiteren Stellplatzbetreibern erreichen nur die Mailbox. Also steuern wir einen öffentlichen Parkplatz in der Innenstadt an, um die Stadt von dort aus zu erkunden und dort ggf. auch zu nächtigen.

Die Altstadt von Kaunas ist übersichtlich und in etwa zwei Stunden zu erkunden. Die historischen Gebäude mit ihren Balkonen wirken fast etwas südländisch. Wäre es etwas wärmer, könnte man hier sicherlich einen schönen Abend in einem der vielen Restaurants und Cafés verbringen. Auf den Plätzen gibt es vielfältige Außengastronomie, die wegen der kühlen Temperaturen jedoch nicht geöffnet ist.

Wir entschließen uns weiterzufahren und einen Campingplatz am Ufer der Memel zu suchen. Doch zuvor müssen wir den Feierabendverkehr in Kaunas überstehen. Nicht nur die Architektur, auch der Fahrstil der Einwohner*innen mutet südländisch an: Ständige Spurwechsel ohne vorherige Ankündigung oder andere abrupte Fahrmanöver scheinen hier völlig normal zu sein.

Wir finden einen Campingplatz gut 70 km westlich von Kaunas. Dort sind wir überraschenderweise, diesmal nicht alleine. Ein Wohnwagen aus der Schweiz steht bereits auf dem parkähnlichen Platz.

Kaliningrad

Etwas weiter westlich wird die Memel zum Grenzfluss zwischen Litauen und der russischen Exklave Kaliningrad. Die Einrichtung dieser Exklave war das Zugeständnis an Russland, um den baltischen Staaten ihre Unabhängigkeit zu ermöglichen. Dieser russische Oblast ist ein wichtiger militärischer Stützpunkt und ermöglicht Russland einen eisfreien Zugang zur Ostsee. In Kaliningrad ist auch die größte russische Fangflotte beheimatet. Aktuell leben rund eine Million Menschen in dem Gebiet.

An unserem Campingplatz in Siline führt ein gut ausgebauter Fahrradweg die Memel entlang. In östlicher Richtung erreicht man in die Orte Pilis und Raudone mit ihren Schlössern.

Geprägt wird die Gegend von kleinen landwirtschaftlichen Gehöften, die auf uns einen sehr pittoresken Eindruck machen, gleichzeitig jedoch spüren lassen, dass das Einkommen in diesem Gebiet vermutlich relativ niedrig ist. Zu unserem Erstaunen sind die Lebensmittelpreise deutlich höher als in Deutschland.

Am nächsten Tag steuern wir mit den Fahrrädern in westlicher Richtung den Ort Jurbarkas an. Er strahlt den herben Charm von zum Teil unsanierter Sowjet-Architektur aus und bietet für Reisende nur wenige Highlights.