Estland

14. bis 16. Mai

Wir verlassen Lettland in Richtung Estland, dem kleinsten und nördlichsten der baltischen Staaten. Estland ist etwas kleiner als Niedersachsen und es wird von rund 1,3 Millionen Einwohnern bevölkert.

Auf dem Weg zur Grenze geraten wir in einen langen Militärkonvoi. Wie Lettland, so grenzt auch Estland an Russland und wir nehmen auf unserer Reise durchs Baltikum eine deutliche Militärpräsenz wahr. Auch die Solidarität mit der Ukraine wird häufig sichtbar. An vielen Stellen weht die ukrainische Flagge.

Wie dünn Estland besiedelt ist, erleben wir direkt nach dem Grenzübergang. Lange Zeit fahren wir über eine schnurgerade Straße durch Wälder, ohne auf Siedlungen zu treffen.

Unser erstes Ziel ist das Naturschutzgebiet Soomaa. An der Verdopplung der Vokale in der Schriftsprache ist die kulturelle Nähe zu Finnland ablesbar.

Im Naturschutzgebiet Soomaa gibt es eine Reihe von Plätzen, wo man campen darf. Dort steht immer ein Plumpsklo und es gibt Zugang zu Wasser. Entweder einen Bach, bzw. Fluss oder Wasser aus dem Hahn.

Unser Waschzimmer

Soomaa ist ein riesiges Sumpf- und Moorgebiet. Noch jetzt stehen die Wälder unter Wasser und können nur über Bohlenpfade betreten werden. Nach der Schneeschmelze im Frühjahr steht das Gebiet teilweise so stark unter Wasser, dass man es nur mit dem Boot durchqueren kann.

Auch dieses Naturschutzgebiet ist wieder einzigartig. Wir sehen Biberbauten und eine reiche Flora und Fauna.

Das Highlight des Parks ist allerdings ein riesiges Hochmoor, welches sich ganz abrupt rund acht Meter aus dem Sumpfwald erhebt. Das mächtigste Hochmoor Europas, mit einem Erscheinungsbild wie aus dem Lehrbuch.

Nach dem Frühstück am nächsten Morgen besuchen wir ein weiteres Hochmoor, wo wir uns spontan zu einem Bad in einem der vielen Moortümpel entschließen. Lange halten wir es im karamellbraunen Wasser jedoch nicht aus, da es noch ziemlich kalt ist.

Unser nächstes Ziel sind die Inseln Muhu und Saanemaa. Bevor wir dorthin übersetzen, legen wir noch zwei Tage Ruhepause am See Ermistu ein. Dort müssen wir das erste Mal auf unser Reise unserer gesamtes Mückenschutzequipment einsetzen, um uns vor den Plagegeistern zu schützen. Die Bustür und die Fenster werden mit Mückenschutzgaze zugehängt und vor dem Bus kommen Autan und Anti-Mücken Duftstoffe zum Einsatz.

Rigaer Bucht

12. bis 13. Mai

Unser Plan ist es, nach Westen zur Rigaer Bucht zu fahren und von dort aus entlang der Küste in Richtung Estland zu reisen. Wir steuern den Küstenort Tuja an, wo sich laut unserer Recherche ein geöffneter Campingplatz befinden soll. Bei der Ankunft stellt sich heraus, dass auch dieser offiziell noch geschlossen ist, wir aber gegen geringes Entgelt dort stehen können. Es gibt es eine offene Dusche, was uns zunächst natürlich nicht stört. Allerdings haben an diesem Wochenende auch viele Einheimische ihre Reiselust entdeckt und so befinden sich am Ende des Tages etwa 50 Personen auf dem Platz, was teilweise zu erheblichen Wartezeiten an der Dusche führt.

Keine Kunst, sondern Pollen am Strand

Insgesamt werden die Campingplätze inzwischen etwas voller und wir treffen auf allerlei verschiedene Menschen. Kleine Anekdote am Rande: In den vergangenen Wochen sind auch auf einige deutsche Camper gestoßen, deren erster Satz nach der Begrüßung lautete: »Eigentlich sind wir Freisteher. Wir sind nur hier, weil wir mal Wäsche waschen/Duschen/Wasser auffüllen wollen.« Viele scheinen den Besuch eines Campingplatzes fast als Makel zu verstehen. Wir haben auf unserer Reise erlebt, dass Einheimische mit viel Ideenreichtum, Engagement und Arbeit, paradiesische Plätze geschaffen haben. Mit dem Besuch eines Campingplatzes (wir wählen meist die kleinen individuellen) können wir der Region und den Menschen etwas zurückgeben und dabei gleichzeitig der Umwelt etwas Gutes tun, da Müll-, Abwasser- und Fäkalienentsorgung etc. umweltschonend organisiert sind.

Doch nun zurück zur Rigaer Bucht

Als wir am Tag unserer Ankunft den Versuch unternahmen, den Küstenstreifen mit dem Fahrrad zu erkunden, war dies die erste enttäuschende Unternehmung unserer Reise. Obwohl die Strecke innerhalb eines ausgewiesenen Landschaftsschutzgebietes verlief, fuhren wir fast ausnahmslos an Privatgrundstücken vorbei. Überall Schilder, die den Durchgang zum Strand untersagten. Nur an einer Stelle gab es die Möglichkeit, das Meer zu erreichen. Irgendwann wurde selbst der Küstenweg als privat gekennzeichnet und eine Weiterfahrt war nicht möglich.

Da es fast windstill war und die Bucht durch vorgelagerte Inseln geschützt ist, dümpelte die Wasseroberfläche ganz lethargisch vor sich hin. Wegen des geringen Salzgehalts in der Bucht gibt es vermutlich nur wenige Meeresbewohner und deshalb auch nur wenige Küstenvögel.

Unser Fazit: Es gibt spannendere Küsten.

Aber die Sonnenuntergänge waren fantastisch.

Ist das noch Urlaub…?

10. bis 11. Mai 2023

Vor einigen Tagen hat uns eine Freundin gefragt: »Ist das noch Urlaub oder fühlt sich das anders an?« Eine Frage, die uns seither immer mal wieder durch den Kopf ging. Tatsächlich fühlt es sich nicht so ganz nach Urlaub an. Wenn man von unseren Aktivitäten ausgeht, sind wir tatsächlich noch im Urlaubsmodus. Es gibt noch relativ wenige Ruhepausen. Wir agieren noch so, als ob wir die üblichen zwei bis drei Wochen Urlaub zur Verfügung hätten.

Unterschiede stellen wir im Kontakt mit der Familie und mit Freunden fest, denn wir werden uns vermutlich lange Zeit nicht sehen. Manchmal sorgen wir uns und fragen uns, ob zu Hause in Deutschland alles ohne uns funktioniert. Und teils fällt es uns schwer, nicht so stark an Ereignissen, die die Familie und auch Freunde betreffen, Anteil nehmen zu können.

Ein Unterschied zum »normalen« Urlaub besteht auch in der Organisation des Alltags. Im Urlaub wird die dreckige Wäsche halt eingepackt und nach der Rückkehr zu Hause gewaschen. In unserem Reisealltag müssen solche Haushaltsaufgaben vor Ort geplant und organisiert werden. Mehr Zeit beanspruchen auch die Planung der nächsten Reiseziele, Suche nach Campingplätzen und Einkaufsmöglichkeiten.

Aber um zur Ausgangsfrage zurückzukehren: Vermutlich wird sich die Art, wie wir reisen, in den kommenden Wochen und Monaten noch verändern und das Urlaubsgefühl könnte allmählich weichen.

Doch nun zu den Aktivitäten der vergangen Tage.

Rote Felsen am Altarm der Gauja

Wir befinden uns nach wie vor im Gauja Naturschutzgebiet, haben jedoch den Ort gewechselt und stehen jetzt für drei Tage an einem wunderschönen kleinen See, der sich im Zentrum des Parks befindet.

Allerdings verlaufen die Touren auch hier zu zwei Dritteln auf Sand-, Kies- und Waldwegen. Die Fahrräder müssen also oft geschoben werden und unsere Durchschnittsgeschwindigkeit von 9 km/h auf Sandwegen ist manchmal frustrierend.

Am 11. Mai haben wir uns ein ganz besonderes Spezial gegönnt: Eine Kajaktour auf dem Fluss Gauja, der malerisch und ohne jegliche Eingriffe von Menschen, durch den Park mäandert.

Vom Besitzer des Campingplatzes wurden wir mit Schwimmwesten und einem wasserdichten Sack (der war wirklich notwendig) ausgestattet und mit dem Boot auf einem Anhänger zur Einstiegsstelle gebracht. Einige Stunden später würde er uns an einer im Frühjahr zerstörten kleinen Holzfähre wieder abholen.

Das Wetter war traumhaft: Sonnig, aber nicht zu heiß, weil sich ab und zu eine Wolke vor die Sonne schob. Das wunderbare Szenario dieser Fahrt lässt sich kaum beschreiben, da sagen die Bilder vermutlich mehr.

Nach etwa zwei Drittel der Strecke gerieten wir in Stromschnellen, die normalerweise nicht so stark sind. Aktuell führt der Fluss jedoch viel Wasser und eine Welle schwappte ins Boot und machte uns ordentlich nass. Eine weitere Herausforderung war der Endpunkt unserer Fahrt, weil die Fließgeschwindigkeit des Flusses recht hoch war, schafften wir es nur mit Mühe an der vereinbarten Stelle zu stoppen und das Boot an Land zu ziehen.

Aber gerade wegen dieser Schwierigkeiten wird diese Kajak-Tour zu einem unvergesslichen Erlebnis werden.

Da wir gerade kein WLAN zur Verfügung haben, können wir keinen Film dieser Tour einstellen. Vielleicht gibt es in einigen Tagen noch einen Nachtrag.

In lettischen Nationalparks

06. bis 08. Mai

Am Morgen des 6. Mai brachen wir bereits um 5:30 Uhr auf, um noch die Stadt zu verlassen, bevor die Straßen für den Stadt-Marathon gesperrt würden. Und wir waren keineswegs zu früh: Auf der Straße, die zu unserem Stellplatz führte, wurden bereits die ersten Vorbereitungen für den Lauf getroffen.

Wir fuhren in den Kemeru Nationalpark, der etwa 30 km westlich von Riga liegt. Nach einem kurzen, improvisierten Frühstück wanderten wir bei Sonnenaufgang über einen Bohlenweg durchs Moor und waren zu dieser Tageszeit die einzigen Besucher in dieser einzigartigen Landschaft. Das Moor hat seine Bezeichnung in diesem Gebiet tatsächlich verdient. Wenn man den Bohlenpfad an irgendeiner Stelle verlässt, würde man sofort im Moor feststecken.

Am Nachmittag machten wir uns an der Ostseeküste von Jurmala auf die Suche nach einem Stellplatz. Vergeblich: Zwei Plätze sahen sehr verfallen aus und waren dauerhaft geschlossen und auch beim dritten Versuch hatten wir kein Glück. Was nun? Freistehen ist in dieser Gegend kaum möglich. Wir waren müde und hungrig von unseren Touren durch den Nationalpark und wollten uns bei einer Rast in einem Restaurant eine Alternative überlegen.

Wir entschieden uns eine weitere Strecke in Richtung Osten zu fahren, um den Ort Sigulda anzusteuern, der am Rand des Gauja Nationalparks liegt. Dort legten wir wieder einen dringend notwendigen Haushaltstag ein.

Am Nachmittags erkundeten wir mit den Fahrrädern das tief eingeschnittene Tal des Flusses Gauja. Eine sehr anstrengende Tour, da 240 Höhenmeter zu bewältigen waren und der sogenannte »Fahrradweg« oft an steilen Treppen und in unwegsamen Gelände endete.

Stellplatzromantik

Heißluftballons über dem Stellplatz

Lettlands Hauptstadt Riga + kurzes Zwischenfazit

03. und 04. Mai 2023

Wir haben die Grenze von Lettland überquert und Riga erreicht. Zwei Tage verbrachen wir damit, die lettische Hauptstadt zu erkunden. Wir schlenderten durch die Altstadt, entdecken die Markthallen (mehrere ehemalige Zeppelinhallen) und erkunden mit den Fahrrädern die angrenzenden Wohngebiete mit ihren schönen Holzhäusern und der imposanten Jugendstil Architektur.

Die Stadt wird durch den breiten Strom Daugava getrennt. In der Mitte befindet sich eine Insel, auf der sich sehr zentral unser Stellplatz befindet.

Obwohl die Sonne den ganzen Tag strahlend scheint, ist es ist weiterhin bitterkalt und es weht ein eisiger Wind.

Unsere Abreise aus Riga ist komplizierter als geplant. Wegen eines Stadtmarathons ist der gesamte Innenstadtbereich – dazu gehört auch die besagte Insel – ganztägig gesperrt. Wir müssen daher sehr früh aufstehen und abfahren oder einen weiteren Tag hier verbringen. Wir entscheiden uns für die erste Variante.

Doch nun zum angekündigten kurzen Zwischenfazit

Wir sind jetzt vier Wochen unterwegs, haben drei Ländergrenzen überquert und dabei 2500 km mit unserem Bus und über 400 km mit dem Fahrrad zurückgelegt.

Häufig waren wir auf Nebenstrecken unterwegs und benötigten dabei ca. zwei Stunden für 100 km.

Uns wurde bewusst, dass der April nicht die optimale Reisezeit für Polen und das Baltikum ist. Die Temperaturen sind noch sehr niedrig. Touristische Infrastruktur ist deshalb kaum vorhanden: Sehr viele Stellplätze und gastronomische Betriebe sind noch geschlossen. Ein Vorteil dieser Reisezeit war aber, dass viele Campingplatzbesitzer Zeit für uns, für Tipps und für interessante Gespräche hatten und wir so vieles über Land und Leute erfahren haben.

Eine für uns spannende Frage kann jetzt beantwortet werden: Der angepeilte Tagesetat für die Lebenshaltungskosten von 75,- € wird vermutlich ausreichen.

In Polen und den baltischen Ländern lagen wir sogar etwa 25 % unter unserem selbstgewählten Tagessatz. Dass die Lebenshaltungskosten bislang so gering ausfielen, liegt auch daran, dass wir meist selbst gekocht haben. In vielen Gebieten waren Restaurants noch nicht geöffnet.

In den nordischen Ländern werden wir diesen Puffer vermutlich mit Leichtigkeit wieder aufbrauchen.

Wie verteilt sich unseren Reiseetat?

Rund 40 % haben wir für Stellplätze ausgegeben.

23 % entfallen auf Diesel und Parkgebühren.

Nur 10 % haben wir in Lebensmittelmärkten gelassen. (Allerdings hatten wir auch ein paar Vorräte dabei)

Der Rest verteilte sich auf Eintrittsgelder, Café- und Restaurantbesuche, Eintrittsgelder sowie Bus- und Bahntickets.

Zum Schluss möchten wir uns bei den vielen regelmäßigen Besuchern unseres Blogs bedanken. Wir hatten nicht damit gerechnet, dass Ihr/Sie uns so intensiv auf unserer Reise begleiten.

Google hat uns verraten, dass der Blog in den ersten vier Wochen bereits fast 500 Mal besucht wurde. Das ist natürlich ein Ansporn für weitere Berichte.

Zwischen kaltem Krieg, heidnischen Bräuchen, Religion und heiler Natur

02. bis 04. Mai 2023

In den vergangenen Tagen ist es immer kälter geworden und diese Kälte macht uns zu schaffen. Wir haben alle wärmenden Kleidungsstücke angezogen, die wir mitgenommen haben, selbst Schal und Handschuhe, weil das Thermometer tagsüber nur 4 bis 8 Grad erreicht. In den Nächten gibt es teilweise noch Nachtfröste und wir benötigen alle Decken und dicke Socken, um möglichst wenig zu frieren. Die Dieselheizung wollen wir nicht die ganze Nacht durchlaufen lassen.


Von der Ostsee fahren wir ins Landesinnere. Unser Ziel: der Zemaitija National Park. Im Hauptort Platelial suchen wir die Touristeninformation auf, um uns nach einem Stellplatz zu erkundigen. Im Büro knistert ein Kaminfeuer und eine freundliche Parkrangerin zeigt uns auf einer Landkarte mögliche Stellplätze. Auf die Frage, ob es auch Toiletten gibt, meint sie nur trocken, dass wir doch in den Wald gehen sollen.


Cold war Museum

Abdeckung eines Raketenschachtes

Unser erstes Ziel ist das Cold War Museum. Tief im Wald versteckt errichtete das russische Militär eine geheime Abschussanlage für atomare Mittelstrecken-Raketen mit den Zielen Deutschland und Nordeuropa. An der Oberfläche sind nur vier Betondeckel sichtbar, welche die 30 Meter tiefen Schächte verschließen. Die gesamte Anlage mit allen technischen Einrichtungen befindet sich unter der Erde. Russland investiert im kalten Krieg 50 % seines Bruttoinlandsprodukts in die Rüstung. Die Kosten für den Bau dieser Anlage hätten ausgereicht, um eine Kleinstadt zu errichten. Vor 15 Monaten hätte man bei einem Besuch der Anlage gedacht: »Gut, dass dieser Wahnsinn beendet wurde.« Nun findet der reale Krieg in unmittelbarer Nähe mit unfassbarer Brutalität statt.

Russisches Schulungsplakat: Wie man sich im Falle eines Atomangriffs wirkunsvoll schützt


Der krasse Kontrast zu dieser Abschussbasis für Atomraketen, die in der Lage gewesen wäre, große Teile Europas in Schutt und Asche zu legen, ist die Natur, die diese Anlage umgibt. Zu Sowjetzeiten streng bewacht, ist dieses Gebiet heute Naturschutzgebiet.

Maskenmuseum


Am nächsten Morgen regnet es und wir besuchen in Platelial ein Museum für Faschingsmasken. Wie bei der alemannischen Fasnacht versucht man mit diesen schaurig schönen Masken den Winter zu vertreiben. Wir sind beeindruckt, in welcher Vielfalt und Kunstfertigkeit diese Masken bis in die heutige Zeit hergestellt werden.

Der Berg der Kreuze


Wir verlassen den Nationalpark in Richtung Lettland und wollen auf dem Weg noch einen Ort besuchen, den man bei einer Reise durch Litauen nicht verpassen sollte: der Berg der Kreuze. An diesem Wallfahrtsort, werden seit 1830, dem Novemberaufstand gegen die russische Obrigkeit, Kreuze aufgestellt, um den Getöteten zu gedenken. Heute nutzen die Besucher den Ort meist, um einen Wunsch oder einen Dank auszusprechen. Im Laufe der Jahre ist ein Wald aus hunderttausenden von Kreuzen gewachsen. Viele wurden sehr individuell gestaltet. Größere Kreuze wurden mit Rosenkränzen und kleineren Kruzifixen behängt. Ältere Kreuze zerfallen und neue kommen hinzu und der Kreuzwald breitet sich immer weiter aus. Egal welcher oder ob man einer Religionsgemeinschaft angehört, dieser Ort ist sehr mystisch und beeindruckend.

Zum Schluss: Stellplatzromantik

Endlich Ostsee!

30.April bis 2. Mai 2023

Auch wenn die Fahrzeit deutlich länger ist, wählen wir die landschaftlich schönere Strecke entlang der Memel, um an die Ostseeküste zu gelangen. Kathrin schlägt vor, dass wir einen Abstecher ins Flussdelta der Memel machen sollten. Allerdings kommen wir nicht wie erhofft ans Wasser, sondern landen auf einer 10 Kilometer langen Schotterpiste durch ein Waldgebiet, welches Google Maps als einzige Verbindung zu unserm Ziel vorschlägt. Tatsächlich benutzen erstaunlich viele Fahrzeuge diesen Weg. Ordentlich durchschüttelt erreichen wir einen Jachthafen vor der Kurischen Nehrung, wo wir unser heutiges Nachtlager aufschlagen wollen. Jachthäfen sind unsere Lieblingsstellplätze. Dort gibt es meist einen wunderbaren Blick auf die Schiffe und das Meer und immer sanitäre Anlagen. In diesem Fall war der Ort jedoch nicht zu empfehlen und wir mussten schnell die Flucht ergreifen, weil bei jedem Schritt durch das Gras hunderte von Stechmücken aufflogen. In kürzester Zeit war unsere Kleidung und der Bus voller Mücken.

Also fuhren wir weiter und fanden etwas nördlich von Klaipeda einen offenen Campinglatz der nur drei Minuten Fußweg von der Ostsee-Steilküste entfernt liegt. Auch hier waren wir zunächst die einzigen Gäste.

In der Nähe des Campingplatzes haben wir eine Ferienanlage entdeckt, die aussieht wie ein »Lost Place«, aber keiner ist. Die Anlage wird aktuell immer noch für Kinder Ferienfreizeiten genutzt. Die Gebäude erinnerten uns stark an die Freizeiteinrichtungen der DDR, die wir kurz nach der Wende an der Ostsee gesehen hatten.

Tagesablauf im Ferienlager

Am 1. Mai fuhren durch die Wälder nach Klaipeda. Weil der Weg sehr gut ausgebaut ist, hatten wir die 14 Kilometer bis zur Innenstadt schnell bewältigt. Im Süden ist Klaipeda geprägt von großen Industrieanlagen. Im Innenstadtbereich befindet sich ein überschaubarer Altstadtbereich und jede kilometerlange Kaianlagen zur Abfertigung großer Personenfähren oder von Frachtschiffen.

Am Tag darauf fuhren wir mit den Fahrrädern nach Palanga, ein mondänes Seebad mit breitem Sandstrand. Hier findet man eine Mischung aus alter Bäderarchitektur, Disneyland und Ferienarchitektur für Neureiche.

Der Fahrradweg entlang der Küste ist wieder sehr gut ausgebaut und führt durch ein Naturschutzgebiet. Wir sehen eine Kormoran-Siedlung, hören und sehen einen Raben und Wölfe. Letztere befinden sich allerdings in einem Gehege eines privaten »Wolfssammlers«.

Schlafbäume der Kormorane

Litauen: Entlang der Memel

27. bis 29. April 2023

Wir haben Polen in Richtungen Litauen verlassen. Vom Nationalpark Wigry zur Grenze sind es nur weniger als 50 km. Unser erstes Ziel ist die Stadt Kaunas, die mit rund 300.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Litauens ist. Dort wollen wir ein bis zwei Tage verbringen, was sich jedoch schwieriger gestaltetet als gedacht. Ein Stellplatz soll laut Website des Betreibers ganzjährig geöffnet sein, wir stehen jedoch bei der Ankunft vor einem verschlossenem Tor. Was vielleicht auch besser so ist, weil sich dieser Ort zwischen zwei Hauptverkehrsstraßen in einem Gewerbegebiet befindet. Auch die Anrufe bei zwei weiteren Stellplatzbetreibern erreichen nur die Mailbox. Also steuern wir einen öffentlichen Parkplatz in der Innenstadt an, um die Stadt von dort aus zu erkunden und dort ggf. auch zu nächtigen.

Die Altstadt von Kaunas ist übersichtlich und in etwa zwei Stunden zu erkunden. Die historischen Gebäude mit ihren Balkonen wirken fast etwas südländisch. Wäre es etwas wärmer, könnte man hier sicherlich einen schönen Abend in einem der vielen Restaurants und Cafés verbringen. Auf den Plätzen gibt es vielfältige Außengastronomie, die wegen der kühlen Temperaturen jedoch nicht geöffnet ist.

Wir entschließen uns weiterzufahren und einen Campingplatz am Ufer der Memel zu suchen. Doch zuvor müssen wir den Feierabendverkehr in Kaunas überstehen. Nicht nur die Architektur, auch der Fahrstil der Einwohner*innen mutet südländisch an: Ständige Spurwechsel ohne vorherige Ankündigung oder andere abrupte Fahrmanöver scheinen hier völlig normal zu sein.

Wir finden einen Campingplatz gut 70 km westlich von Kaunas. Dort sind wir überraschenderweise, diesmal nicht alleine. Ein Wohnwagen aus der Schweiz steht bereits auf dem parkähnlichen Platz.

Kaliningrad

Etwas weiter westlich wird die Memel zum Grenzfluss zwischen Litauen und der russischen Exklave Kaliningrad. Die Einrichtung dieser Exklave war das Zugeständnis an Russland, um den baltischen Staaten ihre Unabhängigkeit zu ermöglichen. Dieser russische Oblast ist ein wichtiger militärischer Stützpunkt und ermöglicht Russland einen eisfreien Zugang zur Ostsee. In Kaliningrad ist auch die größte russische Fangflotte beheimatet. Aktuell leben rund eine Million Menschen in dem Gebiet.

An unserem Campingplatz in Siline führt ein gut ausgebauter Fahrradweg die Memel entlang. In östlicher Richtung erreicht man in die Orte Pilis und Raudone mit ihren Schlössern.

Geprägt wird die Gegend von kleinen landwirtschaftlichen Gehöften, die auf uns einen sehr pittoresken Eindruck machen, gleichzeitig jedoch spüren lassen, dass das Einkommen in diesem Gebiet vermutlich relativ niedrig ist. Zu unserem Erstaunen sind die Lebensmittelpreise deutlich höher als in Deutschland.

Am nächsten Tag steuern wir mit den Fahrrädern in westlicher Richtung den Ort Jurbarkas an. Er strahlt den herben Charm von zum Teil unsanierter Sowjet-Architektur aus und bietet für Reisende nur wenige Highlights.

Letzte Tage in Polen

24. bis 26. April 2023

Stellplatz vor dem Kloster Wigry

Die letzten Tage in Polen verbringen wir im Nationalpark Wigry. Originalton Jörg: »Dafür hat sich die Reise schon gelohnt.«

Das besondere ist der Campingplatz, der gegenüber des Klosters Wigry, einem ehemaligen Eremitenkloster, liegt. In diesem hat übrigens Papst Paul II genächtigt; die Räumlichkeiten samt seinem Koffer können wir bei der Besichtigung des Klosters sehen.

Auch an diesem Ort sind wir noch die einzigen Gäste. Der Bus steht auf einer Anhöhen inmitten einer Streuobstwiese. Von hieraus haben wir einen fantastischen Blick auf den See und die imposante Klosteranlage.

Vom Kloster klingt um 21 Uhr und 7 Uhr Trompetenmusik zu uns herüber, zum Ende bzw. zum Beginn des Tages.

Wir genießen nochmal in vollen Zügen die Natur, Vogelgezwitscher von früh bis spät, Radtouren zwischen Wiesen, Feldern, durch den ergrünenden Wald entlang des Ufers des Wigrysees. Nachts Blicke in den Sternenhimmel, da es kaum künstliches Licht gibt.

Am Nachmittag, des 25. Aprils stieg die Temperatur auf 23 Grad und es wurde sehr schwül. Dunkle Gewitterwolken zogen auf und in der Ferne war Donner zu hören. Am Abend und in der Nacht regnete es stark und es gab einen gewaltigen Temperatursturz. Als wir aufwachten, betrug die Außentemperatur nur noch 2 Grad und stieg auch am Tag nur auf etwa 7 Grad an. Wir waren froh, dass wir die Winterkleidung mitgenommen hatten, die wir jetzt gut gebrauchen können. Die Benutzung der Wasch- und Toilettenräume wird zum Erlebnis: Sie sind unbeheizt und aus den Hähnen kommt nur eiskaltes Wasser.

Auch nach 2 ½ Wochen bleibt uns die polnische Sprache fremd und wir können nur einige wenige Wörter. Wir haben kaum eine Vorstellung, was die geschriebenen Wörter, mit teils vielen Konsonanten hintereinander, bedeuten könnten, erst recht nicht, wie sie ausgesprochen werden. Auch gesprochen hört sich für uns polnisch sehr fremd an. Trotzdem hatten wir in der gesamten Zeit nie Verständigungsprobleme, selbst im kleinsten Dorfladen nicht. Dies liegt zum Teil daran, dass viele Menschen hier deutsch sprechen, teils so gut, dass auch längere Gespräche möglich sind.

Die an der Supermarktkasse auf polnische gestellte Frage nach der Biedronka-Kundenkarte konnten wir nach zwei Wochen endlich verstehen und korrekt mit »nie« beantworten.