Viele Menschen träumen von einem Sabbatical: Ein Jahr oder einige Monate aus dem beruflichen Alltag aussteigen, um die Dinge zu tun, die man bislang nicht realisieren konnte.
Bei uns war es die Idee, für ein Jahr mit einem ausgebauten VW-Bus Europa zu umrunden.
Nach unserem persönlichen Fazit der Reise möchte ich (Jörg) zum Schluss noch etwas über die Technik und die Kosten schreiben. Die Google-Statistik unseres Blogs hat gezeigt, dass sehr viele Besucher*innen über den Suchbegriff Campmobil und die Details zur Ausrüstung auf unsere Seite stoßen, von daher wird dieses Fazit für diese Leser*innen sicherlich besonders interessant sein.
Das Basisfahrzeug
Kathrin hatte bereits in ihrem Fazit darüber berichtet, dass wir auf der langen Reise keinerlei Pannen oder Defekte hatten. Das spricht für das Basisfahrzeug T5, dessen Tachostand mittlerweile 190.000 Kilometer aufweist und natürlich auch für den Ausbau der Firma Campmobil. Die mitgeführte Notfallausrüstung und die Ersatzteile für die Campmobil-Technik haben wir also nicht benötigt. Trotzdem würde ich diese Ausrüstung auf jeder größeren Reise mitführen, denn ein solch reibungsloser Verlauf einer Langzeitreise ist eher ungewöhnlich.
Für kleinere Notreparaturen haben wir eine Rolle doppelseitiges Klebeband verbraucht und auch Gewebeband (Gaffatape) kam häufig zum Einsatz.
Es sind nur absolute Kleinigkeiten oder Verschleißschäden zu vermelden. Seit Portugal verliert ein Dämpfer Öl und muss getauscht werden.
Ein kleiner Schaden ist noch kurz vor dem Ende der Reise in Deutschland entstanden. Ich hatte eine Temposchwelle übersehen und nicht abgebremst. Dadurch ist der Fahrradträger am Heck in Bewegung geraten und hat das Glas einer Rückleuchte zerstört. Besonders ärgerlich deswegen, da wir in Spanien und Portugal gefühlt Tausende dieser Temposchwellen schadlos überfahren haben.
Bewährt haben sich die leichten AT Reifen »Latitude Cross« von Michelin. Es sind vermutlich die einzigen AT Reifen, die in der Gewichtsklasse 3,2 Tonnen ohne Höherlegung gefahren werden können. Leider besitzen sie nur eine M+S Kennzeichnung und haben damit zwar in Italien und Österreich eine Zulassung als Winterreifen, in Deutschland jedoch nicht.
Nach 22.000 Kilometern besitzen sie noch ein Restprofil von 5 bis 7 Millimetern. Gerade auf Schotterstrecken waren wir froh, diese Reifen gewählt zu haben.
Der Ausbau des Fahrzeugs
Der Ausbau der Firma Campmobil ist einfach großartig. Alles ist sehr solide gebaut. Die Möbel knarren nicht während der Fahrt und haben der Extrembelastung problemlos standgehalten. Wenn zwei Personen über einen Zeitraum von 11 Monaten Vollzeit in einem Bus wohnen, kann man dies sicherlich als Extrembelastung bezeichnen.
Die technischen Komponenten wurden gut ausgewählt. Defekte und Ausfälle (Solaranlage, Standheizung) gab es, als der Wagen noch recht jung war. Vielleicht ist es daher besser, für eine Langzeitreise kein nagelneues Fahrzeug zu verwenden. Auch sind die unvermeidlichen kleinen Beschädigungen oder Kratzer, die auf einer solchen Reise entstehen, dann weniger schmerzlich.
Natürlich gibt es einige wenige Dinge, die wir im Nachhinein verändern oder verbessern würden. Die Pushlocks der Schranktüren rasten nicht immer zuverlässig ein oder man vergisst sie manchmal vor der Abfahrt zu verriegeln. Hier würden wir uns Verschlüsse wünschen, die selbstätig arretieren, sobald man eine Schublade oder eine Schranktür schließt.
Auch die Verteilung der Heizungsluft könnte optimiert werden. Bei tiefen Temperaturen ist die Heckklappe und der vordere Bereich des Unterbodens immer sehr nass, weil dort – bedingt durch die Heckküche – keine Luft zirkulieren kann. Hier könnte einzusätzlicher Warmluft-Ausströmer im Unterboden Abhilfe schaffen. Eine kleine aber sinnvolle Änderung, die einfach und köstengünstig zu realisieren wäre.
Verzichten würden wir bei einem neuen Fahrzeug auf das schöne, große Gebo Dachfenster. Der Metallrahmen dieses Fensters ist eine Kälte/Wärmebrücke. Bei kalten Außentemperaturen bildet sich viel Kondenswasser auf dem Rahmen. Dies ist jedoch ein bekanntes Problem bei dieser Konstruktionsform. Anstelle der Dachluke würden wir zukünftig ein Maxxvent einsetzen lassen, um Luftfeuchte, Küchendünste und Wärme abführen zu können.
Nach extremen Starkregenfällen und wochenlanger hoher Luftfeuchte, wurde die Feuchtigkeit im Innern des Fahrzeugs zu einem echten Problem. Nasse Kleidung, nasse Schuhe, nasse Handtücher und die über Wochen hohe Luftfeuchte, führte schließlich zur Bildung von Stockflecken im vorderen Bereich des Polyroof-Daches und im Bereich der Schwalbennester. Also Zonen, wo generell eine schlechte Luftzirkulation stattfindet.
Auch für dieses Problem gibt es aus unserer Sicht Lösungen. Das Dachbett sollte tagsüber, wenn man sich nicht im Fahrzeug befindet, heruntergelassen werden, um den Bereich besser zu belüften. Bei starker Feuchtigkeit haben wir zusätzlich einen kleinen Heizlüfter aufs Bett gestellt, um den Bereich im Bug trocken zu halten.
Vor der Reise hatten wir einige Schwalbennester im Dach mit Fahrzeugfilz ausgekleidet. Hier bildeten sich keinerlei Stockflecken. Eine Auskleidung des Dachs mit Fahrzeugfilz könnte das Problem also generell verhindern, da das Material Feuchtigkeit besser absorbiert.
Unser Tipp: Mit dem Yachticon Stockflecken-Entferner lassen sich diese Flecken schnell und einfach bekämpfen. Leider hatten wir dieses Mittel nicht auf die Reise mitgenommen und unterwegs war es nirgendwo erhältlich. Natürlich sollte man nicht nur die Flecken, sondern auch die Ursachen dafür bekämpfen.
Der Starkregen in Portugal führte auch dazu, dass sich die geklebten Regenrinnen über den Eingangstüren lösten. Die Reparatur erfolgte mit einem speziellen doppelseitigen Klebeband für den Außenbereich: Die Rinnen halten bislang bombenfest.
Ist das Campmobil ein Fahrzeug für Langzeitreisen?
Bei der Wahl des geeigneten Fahrzeugs kommt es natürlich auf die individuellen Ansprüche an. Uns hat gefallen, dass das Campmobil so klein und wendig ist und trotzdem ausreichend Stauraum besitzt. Mit Fahrradträger und Heckbox ist das Fahrzeug nur 5,5 Meter lang. Klein genug für Forstwege in Naturparks oder schmal genug für einspurigen Passstrecken. Auch in Städten haben wir mit dem kompakten Campmobil immer einen Parkplatz gefunden. In Bilbao hatten wir uns einmal verfahren und landeten in einer sehr steilen und engen Einbahnstraße, die nur für PKW geeignet war. Mit einem größeren Wohnmobil wären wir dort unweigerlich steckengeblieben.
Im Frühjahr und Sommer war das Campmobil für uns das ideale Reisefahrzeug, denn wir hielten uns häufig vor dem Fahrzeug auf. Auch die Raumaufteilung innerhalb des Fahrzeugs hat sich als Ideallösung erwiesen.
Im Herbst und Winter, als wir lange im Regen feststeckten und es draußen kalt und schon früh dunkel wurde, wünschten wir uns ein etwas größeres Fahrzeug.
Zumindest eine separate Toilette wäre schön gewesen. Auch haben wir festgestellt, dass ein Kastenwagen generell nicht so gut geeignet ist, um sich längere Zeit in feuchten oder kalten Gebieten aufzuhalten. Ein solches Fahrzeug besitzt zwangsläufig eine Vielzahl von Wärme- bzw. Kältebrücken und damit entsteht unweigerlich Feuchtigkeit im Fahrzeug. Allerdings ist das Campmobil im kleineren Kastenwagen-Segment eine der besten Optionen. Der Camper ist recht gut gedämmt und besitzt einen isolierenden Doppelboden. Wichtig für die Durchführung eine Langzeitreise ist ein festes Dach. Mit der offenen Zeltkonstruktion eines Aufstelldachs hätten wir diese Reise nicht durchführen können.
Es war auch gut, dass wir das Dachbett, welches wir während der Reise ausschließlich genutzt haben, mit einer Unterfederung der Firma Froli nachgerüstet haben. Ohne diese Verbesserung des Schlafkomforts wären wir nach einigen Wochen sicher mit Rückenschmerzen aufgewacht.
Generell halten wir das Campmobil trotz seiner Kompaktheit (Unser Camper war auf vielen Stellplätzen das kleinste Fahrzeug) für ein Reisemobil, das ideal für eine Reisedauer bis zu sechs Monaten ist, wenn die Reiseziele nicht vorrangig in kalten und nassen Regionen liegen.
Auf eine zukünftige Langzeitreise würden wir eher mit einem Fahrzeug mit Wohnkabine aufbrechen. Eine solche Kabine ist hervorragend isoliert und es sind keine Wärme- bzw. Kältebrücken vorhanden. (Allerdings muss sich dafür die Kabine durch eine Tür vom nicht isolierten Fahrerhaus trennen lassen.) Eine abgeschlossene Toilette wäre Pflicht im nächsten Fahrzeug. Auf eine Duschkabine könnten wir jedoch verzichten, da wir während unserer Reise fast immer Waschgelegenheiten gefunden haben.
Schwerer als 3,5 Tonnen sollte der Camper aus unserer Sicht nicht sein, da wir während der Reise häufig Strecken befahren haben, die nur bis zu dieser Gewichtsgrenze freigegeben waren. Auch viele Innenstädte sind mittlerweile für schwerere Fahrzeuge gesperrt. Unser perfektes Fahrzeug sollte die Idealmaße von 6 Meter Länge, 3 Meter Höhe und 2 Meter Breite möglichst nicht überschreiten. Damit könnte man einen guten Kompromiss aus Komfort und Wendigkeit erzielen.
Allerdings wäre ein solches Fahrzeug deutlich teurer als unser aktueller Bus, welcher bereits viele der genannten Punkte erfüllt.
Wir haben es jedenfalls nicht bereut, die Reise in einem VW Bus mit Campmobil-Ausbau unternommen zu haben. Ein Fahrzeug, welches wir vor einigen Jahren gebraucht zu einem Preis erworben hatten, der uns noch genügend Spielraum zur Finanzierung dieser Reise ließ.
Ausrüstung
Es ist absolut erstaunlich, dass alle Dinge, die man benötigt, um ein Jahr bequem zu reisen, in einen VW-Bus passen. Wir haben in dieser Zeit kaum etwas vermisst: Im Gegenteil, wir würden zukünftig sogar einiges zuhause lassen:
Es ist absolut erstaunlich, dass alle Dinge, die man benötigt, um ein Jahr bequem zu reisen, in einen VW-Bus passen. Wir haben in dieser Zeit kaum etwas vermisst: Im Gegenteil, wir würden zukünftig sogar einiges zuhause lassen:
In meiner Reisetasche fand ich einige Kleidungsstücke, die ich während des gesamten Reisejahrs nicht genutzt hatte. Den Grill, den wir als Erweiterung des Koch-Equipments zu benötigen glaubten, haben wir nur selten genutzt, weil uns der Aufwand zur Reinigung meist zu hoch war. Die Kameraausrüstung habe ich nur selten ausgepackt, weil ein gutes Smartphone mittlerweile so fantastische Bilder macht und zugleich bequem und allzeit verfügbar ist.
Den Wasserfilter haben wir nur selten genutzt, weil wir fast überall auf der Reiseroute Wasser fanden, welches man unbedenklich trinken konnte. Manchmal schmeckte es jedoch deutlich nach Chlor. Es würde vermutlich reichen, zwei bis drei Flaschen Trinkwasser mitzuführen, um für solche Situationen gerüstet zu sein.
Ein kleines Silbernetz der Firma WM Aquatec hat sich als sehr nützliches Zubehör erwiesen. Es wird einfach in den Wassertank gelegt und verhinderte dort während der gesamten Reise die Entstehung von Biofilm und Algen.
Den mitgeführten WLAN-Router haben wir nie benötigt, weil unsere Handys via Hotspot andere Geräte problemlos und zuverlässig mit dem Internet verbinden konnten.
Gas ist ein Thema, welches vielen Reisenden zu schaffen macht: uns übrigens auch. Zum Kochen verwenden wir 1,8 Liter Campingaz-Tauschflaschen. Diese sind in Nordeuropa nicht erhältlich. In Spanien gibt es zwar identische Flaschen eines anderen Anbieters, diese werden in Deutschland jedoch nicht zurückgenommen.
Wir haben daher in der Außenküche und später teilweise auch Bus mit 500 gr. Gaskartuschen gekocht. Gegenüber den Campingaz Flaschen besitzen diese Kartuschen einige Vorteile: Sie sind überall erhältlich und oft vergleichsweise günstiger als Campingaz. Wenn die Kartuschen mit einem Gasgemisch aus Butan und Propan gefüllt sind, funktionieren sie auch bei niedrigen Temperaturen.
Aus diesen Gründen wäre es zukünftig sinnvoller einen mobilen Kocher für Außen und Innen zu verwenden und diesen ausschließlich mit Kartuschen zu betreiben. Dann würde auch die zweijährige Gasprüfung des Fahrzeugs entfallen.
In der kalten Jahreszeit war der kleine Ecomat Elektroheizwürfel eines unserer wichtigsten Ausrüstungsgegenstände. Mit der Dieselheizung konnten wir den Innenraum schnell aufheizen und die Wärme dann über den Abend und die Nacht mithilfe des Heizwürfels halten. Meist reichte hierfür eine Heizleistung von 450 Watt.
Im Sommer war hingegen die gasbetriebene Mückenabwehr von Thermacell ein häufig genutzter Ausrüstungsgegenstand.
Sehr bewährt haben sich auch die Scheibenisolierungen von der Firma Projektcamper, die schnell und einfach mit eingenähten Magneten befestigt werden. Bei großer Hitze oder Kälte haben wir das Fahrerhaus zusätzlich Außen mit Isolierungen der Firma Tigerexped eingepackt. Man kann diese Abdeckungen allerdings nicht bei Regen nutzen kann, weil sie sich dann mit Wasser vollsaugen.
Das Außenzelt haben wir nur in der Weihnachtszeit aufgebaut, als wir uns länger an einem Ort aufgehalten haben. Aber alleine für diesen Einsatz hat sich die Mitnahme bereits gelohnt.
Die extra für den Transport des Zeltes gebaute Heckbox hat sich ebenfalls sehr bewährt und mittlerweile rund 25 Tausend Kilometer zurückgelegt. Die Alubox hat zwischenzeitlich einige kleine Beulen abbekommen, ist aber weiterhin dicht und funktionsfähig.
Immer wieder haben wir festgestellt, dass es sehr wichtig ist, dass im Bus jedes Ding seinen festen Platz hat, wenn man auf so kleinem Raum lebt. Es ist absolut nervig, wenn man auf so kleinem Raum anfangen muss, nach einem Ausrüstungsgegenstand zu suchen.
Kosten der Langzeitreise
Mit unserem veranschlagten Reisebudget sind wir gut ausgekommen, was auch daran liegt, dass wir keine Kosten für Reparaturen hatten und keine defekten Ausrüstungsgegenstände ersetzen mussten.
Für unsere Lebenshaltungskosten haben wir unterwegs pro Monat etwas weniger als 1800,- € ausgegeben, die sich folgendermaßen verteilen:
32 % Einkäufe des täglichen Bedarfs und Restaurant und Cafébesuche
31 % Kosten für Stell- und Campingplätze
18 % Diesel, Ölwechsel, Parkgebühren
8 % Eintrittsgelder/Ausflüge
5 % Maut und Fährgebühren
2 % Öffentlicher Nahverkehr
4 % Sonstiges: Kleidung, Geschenke, kleine Reparaturen
Hinzu kommen noch etwa 100,- € monatlich für alle Versicherungen: Langzeitreiseversicherung, KFZ Versicherung, »Hausratversicherung« für den Bus, Verkehrsrechtsschutz, Autoschutzbrief …
Vor der Reise erhielt der Bus eine große Inspektion, neue Reifen und einige Auffrischungen, die mit rund 1500,- € zu Buche schlugen.
Was bei dieser Auflistung natürlich nicht berücksichtigt wurde, sind die Anschaffungskosten für die Ausrüstung und den Camper.
Welches waren die günstigsten und teuersten Reiseländer?
Lebensmittel sind mittlerweile nach unserer Beobachtung in Europa überall etwa gleich teuer. Natürlich gibt es Schwankungen. Kaum erstaunlich: In Norwegen sind Lebensmittel am teuersten und eine Flasche Wein ist eine echte Geldanlage. Dicht dahinter folgt Italien: Auch dort sind die Lebensmittelpreise erstaunlich hoch. Am günstigsten lebt man in Portugal.
Unterwegs dachten wir, dass Lebensmittel fast überall teurer wären als in Deutschland. Bei unserer Rückkehr haben wir dann bemerkt, dass die Preise mittlerweile auch hier auf einem ähnlichem Niveau liegen.
Restaurantbesuche sind in vielen Ländern fast unerschwinglich teuer geworden. Wir sind früher auf Reisen häufig essen gegangen, heute kochen wir meist selbst. Das ist schade, weil man so einen wichtigen Teil der Landeskultur kaum wahrnimmt. In Frankreich oder den nordischen Ländern kann ein Restaurantbesuch leicht 50,- € oder mehr pro Person kosten.
Da wir viele Länder in der Vor- oder Nachsaison bereist haben, waren die Kosten für Stellplätze recht erträglich. Am günstigsten war es in Portugal oder auch in den nordischen Ländern und im Baltikum waren die Preise für Stellplätze nicht hoch. Wobei einige Plätze, insbesondere in Nordeuropa, einen recht geringen Standard aufweisen. Dies betrifft vor allem die Sanitäranlagen.
Am teuersten waren – selbst im Winter – die Stell- und Campingplätze in Italien.
Generell bieten aus unsere Sicht sehr viele Betreiber ein sehr gutes Preisleistungsverhältnis für Platzgebühren, die im Schnitt bei rund 20,- € lagen.
Man sieht an dieser Auflistung, dass eine solche Langzeitreise durchaus erschwinglich ist. Wenn man zu Hause nicht alle Zelte abgebrochen hat, bleiben jedoch auch dort noch individuelle Fixkosten: Beispielsweise für Miete und Verträge.
Mithilfe eines Sabbatical-Modells ist eine solche Reise tatsächlich auch ohne größere finanzielle Reserven gut finanzierbar. Wir haben uns über einen Zeitraum von fünf bzw. drei Jahren weniger Gehalt auszahlen lassen. Während unseres Reisejahrs wurde unser Gehalt dann weiter bezahlt und auch Kranken- und Sozialversicherungen liefen weiter. Wer ein solches Modell mit seinem Arbeitgeber vereinbaren kann, befindet sich in einer sehr komfortablen Ausgangsposition, um eine solche Reise durchführen zu können.
Vor der Reise haben wir uns natürlich auch Gedanken gemacht, was so alles passieren könnte, von Unfällen über Krankheiten bis hin zu anderen negativen Erlebnissen und Ereignissen. Auch von anderen Menschen wurden wir häufig mit der Frage konfrontiert, was macht ihr wenn …
Und wir wurden besonders vor möglichen Einbrüchen und Diebstählen gewarnt. Fast jeder kannte jemand, dem so etwas passiert war.
Für manches haben wir eine zusätzliche Versicherung abgeschlossen. Zwar habe ich nicht damit gerechnet, dass alles glattgehen würde, aber trotzdem bin ich relativ angstfrei auf diese Reise gegangen, mit der Zuversicht, es wird schon werden, bzw. das sehen wir dann. Und dann … ist 11 Monate nichts von all dem passiert. Ein absolutes Wunder: Das Auto, unser Zuhause, ist heil geblieben, wir hatten keinen Verkehrsunfall, trotz manch spezieller Fahrweise in Ländern wie Italien oder Portugal.
Wir hatten abgesehen von kleineren Stürzen beim Radfahren und Wandern keine Unfälle und waren fast immer gesund. Und haben auch die Angriffe der Raubmöwen in Norwegen überlebt.
Wir sind nicht überfallen worden, niemand hat uns bedroht, uns wurde nichts gestohlen. Im Gegenteil: In Sevilla hatte ich mein Portmonee mit allen Karten verloren. Unbemerkt, bis ich vor einem Museum von einem Mann angesprochen wurde, mit der Frage, ob dies mein Geldbeutel sei. Er hatte mich anhand des Fotos im Ausweis gesucht und gefunden. Welch ein Glück. In allen bereisten Ländern sind wir unzähligen freundlichen, hilfsbereiten und sehr interessanten Menschen begegnet und negative Begegnungen lassen sich an einer Hand abzählen. Wir wurden von Einheimischen und anderen Reisenden teils ungefragt mit Reisetipps und Informationen über Land und Leute versorgt. Und auch mit dem Angebot, sich in Notfällen jederzeit melden zu können.
Dadurch, dass wir die Serviceeinrichtungen der Plätze wie Sanitäranlagen und Abwaschplätze immer genutzt haben und oft draußen gekocht und gegessen haben, sind wir mit vielen anderen Menschen in Kontakt gekommen.
Beim Abwaschen, in den Waschgebäuden, in der Sauna ergab sich so manches interessante Gespräch.
Viele Menschen waren überraschend offen und haben uns sehr persönliche Dinge erzählt, über die wir gestaunt haben. Vielleicht entstand diese Offenheit gerade im Bewusstsein, dass es nur einmalige Kontakte waren.
So haben wir z.B.erfahren, wie es ist, ohne Geld den Jakobsweg zu gehen und immer auf das Wohlwollen und die Spenden andere angewiesen zu sein.
Wie es ist als Kanadierin mit dem Moped Europa zu erkunden; wie man sich als Familie eine Existenz in Sardinien aufbaut.
Wir haben immer einen Übernachtungsplatz gefunden und haben uns auf unseren über 160 Schlafplätzen bis auf ein zwei Ausnahmen immer sicher gefühlt.
Das Leben auf den unterschiedlichen Übernachtungsplätzen war sehr abwechslungsreich, manchmal herausfordernd, manchmal entspannt. Selten allerdings luxuriös, insbesondere was die sanitären Anlagen betrifft. Auf jeden Fall wissen wir nach der Reise, in welch kurzer Zeit man auch im stockdunkeln Gebäuden oder auch Außen, bei eisiger Kälte oder ohne einen Haken für Kleidungsstücke duschen kann und dass ein Blick in die Toiletten nach vorhandenem Klopapier sich lohnt.
Besonders genossen haben wir die Plätze mit viel Grün, unter Bäumen, in Orangenplantagen, in den Bergen, am Meer, an Flüssen und Seen und in den verschiedenen Nationalparks in Estland, Lettland und Polen. Gewöhnungsbedürftig waren die Plätze in den Städten und reine Stellplätze, wo Campingverhalten verboten war und wo dies auch aufgrund der Enge gar nicht möglich gewesen wäre. Dort kamen wir uns manchmal zwischen all den riesigen Mobilen mit unserem kleinen Bus sehr eingequetscht vor.
Überraschend oft waren wir die einzigen Camper, besonders in den ersten Monaten und auch am Ende der Reise. In Norwegen, besonders auf den Lofoten, in Frankreich und im Süden Spaniens waren die Plätze teils überfüllt und die Enge dort hat uns gar nicht gefallen. Aus diesem Grund haben wir uns auch nicht vorstellen können auf solchen Plätzen mehrere Wochen zu verbringen oder gar zu überwintern, was ursprünglich auch eine Idee von uns war.
Während der Reise habe ich mich oft gefragt, wie wäre eine solche Tour ohne Internet oder wie wäre sie noch vor 10 oder gar 20 Jahren verlaufen. Eine Reise ohne Navi, ohne Online Reiseführer, ohne Recherchemöglichkeiten zu Übernachtungen und Reisezielen, ohne den Blog und ohne Apps für Stellplätze, Wetter, Pflanzen und Vogelbestimmung beispielsweise. Kaum vorstellbar. Auch die Kontakte zur Familie und zu Freunden wären von unserer Seite viel eingeschränkter möglich gewesen. Vielleicht hätten wir ab und an mal telefoniert oder auch mehr Karten und Briefe geschrieben.
Aber uns hätten auch all die vielen Informationen zum Weltgeschehen während der Reise nur eingeschränkt erreicht. Weltpolitisch gesehen war es kein gutes Jahr und mich haben all die vielen schlechten Nachrichten oft bewegt und hilflos gemacht. Gerade dieser Punkt hat bei mir manchmal den Wunsch geweckt, Tage ohne Internet zu verbringen, was mir dann auch wieder schwerfiel.
Wir haben zwar während der Reise viele interessante Städte besucht, aber für mich war das Besondere das Leben in der Natur. Unzählige Stunden bei Wind und Wetter, überraschend oft bei Sonne, draußen zu verbringen, frische Luft zu atmen und die Umgegend wahrzunehmen, kann sehr erholsam sein. Die vielen Wanderungen an der Küste in Ländern wie Portugal, Spanien und Frankreich, durch die Moore in Estland, auf Berge in Norwegen und Spanien waren die Highlights der Reise.
Und auch die Begegnungen und das Beobachten der vielen Weidetieren und der unterschiedlichen Vögel haben mich begeistert. Im und am Bus wurden wir von Katzen, Hunden, Eseln, Pferden, Schwänen und Störchen besucht.
Und auch wenn der erste Elch, den wir gesehen haben, das erste Rentier, der erste Storch, Geier oder Flamingo immer was Besonderes ist, hatte auch das Entdecken der weiteren Artgenossen seinen Reiz. Nur die angekündigten Bären in Nordspanien ließen sich nicht blicken, was wohl auch besser so war.
Oft haben wir von Menschen gelesen und gehört, die nach einer solchen Reise ihr ganzes Leben umgekrempelt haben und alles Mögliche verändert haben. Danach sieht es bei uns zunächst nicht aus, aber sicher werden die Erfahrungen der Reise auch unseren Alltag verändern. Ich bin gespannt, wie uns der Einstieg in den Alltag gelingen wird. Bleiben wird auf jeden Fall das Erstaunen und die Dankbarkeit darüber, dass alles gut gegangen ist und die Erkenntnis, es war gut eine solche Reise zu wagen.
Etwa 21.500 km mit dem Campmobil, ca. 3000 km mit den Klappfahrrädern und eine ungezählte Zahl von Kilometern zu Fuß durch Europa. Fast 11 Monate waren wir unterwegs und haben dabei 15 Länder durchquert (plus einem Tagesausflug nach Marokko). Wir haben in dieser Zeit so vieles erlebt und dabei schnell festgestellt, dass wir während unserer Reisezeit nur einen winzigen Teil dieses Kontinents sehen werden. Wir könnten noch Jahre unterwegs sein, ohne dass es langweilig würde.
Bus und Klappräder haben uns nahezu ohne Pannen überall hingebracht.
Aber jetzt ist es erst einmal genug. Wir freuen uns auf unsere Familie, die Freunde und den Komfort einer Wohnung: ein richtiges Bett, viel Platz und eine vollwertige Küche. Über viele Monate haben wir auf etwa sechs Quadratmetern gelebt und waren meist rund um die Uhr zusammen. Eine Nähe, wie sie in einem normalen Alltag niemals vorkommt. Es hat überraschend gut funktioniert, auch wenn wir natürlich manchmal Meinungsverschiedenheiten hatten oder uns auf dem engen Raum auf den Geist gingen.
Fast ein Jahr auf sechs Quadratmetern
Wir haben auf dieser Reise erlebt, dass alles was man zum Leben braucht, bequem in einen VW Bus passt. Vermisst haben wir eigentlich nichts und würden bei einer nächsten Reise sogar einige Dinge zu Hause lassen.
Ohne uns vorher darüber abzustimmen haben wir eine Aufgabenteilung entwickelt, die gut funktioniert hat und auf die wir uns verlassen konnten. So ein Campingbus ist wie ein Schweizer Taschenmesser: Während der Fahrt sind alle Funktionen platzsparend »zusammengeklappt«. Am Stellplatz wird dann alles aus- und umgepackt, aufgebaut und angeschlossen. Und da hatte sich bereits nach kurzer Zeit eine totale Routine entwickelt. Wir beide hatten unsere individuellen Bereiche und Handgriffe. Wir konnten den Bus innerhalb einer halben Stunde vom Fahr- in den Campingmodus versetzen und umgekehrt.
Kathrin recherchierte die spannenden Orte entlang der Reise und las unzählige Reiseführer, die sie dank des Online-Zugangs der Bibliothek unterwegs herunterladen konnte. Ich war hingegen für die Streckenplanung und für die Suche nach möglichen Stell- und Campingplätzen zuständig.
Schnell hatten wir begriffen, dass eine Langzeitreise nichts mit einer Urlaubsreise zu tun hat. Die Planung der nächsten Reiseetappen kann unglaublich viel Zeit verschlingen. Meist verbrachten wir die Abende mit Vorbereitungen und häufig diskutierten wir lange über möglich Alternativen oder mussten Pläne verwerfen, weil die Umsetzung zu schwierig oder gar unmöglich war. Oft brachten vor allem mich Apps oder Buchungsportale zu Weißglut. Die Möglichkeit Tickets, Fähren, Parkscheine, Maut und Stellplätze online buchen zu können, ist Segen und Fluch zugleich. Selten funktionierten die digitalen Helfer auf Anhieb und immer häufiger werden die Aufgaben auf den Kunden abgewälzt. Unsere Festplatte mit der digitalen Videothek haben wir der Reise kaum genutzt, weil wir kaum Zeit hatten uns Filme anzusehen.
Ohne die vielen Fährverbindungen wäre die Europareise nicht möglich gewesen
Manche Pläne, die ich auf der Reise realisieren wollte, konnte ich nicht so umsetzen, wie ich das gerne getan hätte. So habe ich weniger als geplant mit der Camera Obscura fotografiert. Die Idee, mit einer 360 Grad Kamera Filme für einen YouTube-Kanal zu erstellen, habe ich aufgeben, weil sich dieses Vorhaben als zu zeitaufwändig erwies. Viel Raum nahm hingegen die Arbeit an diesem Reise-Blog ein, der zunächst nur von mir, später jedoch auch von Kathrin betreut wurde.
Die Arbeit am Blog
Mithilfe des Blogs konnten wir während der langen Reisezeit den Kontakt zu Freunden, Bekannten und der Familie aufrechterhalten. Aber er wurde auch in anderer Hinsicht wichtig. Er half uns das Erlebte zu dokumentieren, zu sortieren und zu archivieren. Er trägt dazu bei, dass wir selbst uns an Reiseetappen zurückzuerinnern können, die ansonsten bei der Fülle der Erlebnisse schnell in Vergessenheit geraten würden.
Das Fotografie-Projekt mit der Camera Obscura
Motivation für die Arbeit an dem Blog war auch die stetig wachsende Zahl der Besucher*innen und die Rückmeldungen, die wir per Mail, Telefon oder Kommentarfunktion erhalten haben. Mehr als 1300 Personen haben bis zum Ende der Reise unser digitales Tagebuch besucht. Manche sind einmalig im Rahmen einer Internetrecherche auf unsere Seite gestoßen, andere haben unsere Berichte regelmäßig verfolgt.
Irgendwann haben wir bemerkt, dass unsere Reise auch eine umweltpolitische Dimension besitzt. An vielen Orten stießen wir auf die Anzeichen des Klimawandels.
Als wir durch Ost- und Nordeuropa reisten, gab es über einen langen Zeitraum kaum Regen, während aus Südeuropa starke Überschwemmungen nach wochenlangen Regenfällen vermeldet wurden. Wir kamen an Flüssen und Seen vorbei, deren Pegel beängstigend niedrig waren und erlebten in Portugal Starkregenfälle in einem unvorstellbaren Ausmaß. Es war beängstigend in einem kleinen VW Bus zu sitzen, während pro Stunde etwa 50 Liter Regen gegen Dach und Fenster peitschen.
Starkregen und Stürme in Portugal
Wir kamen in Spanien durch Gegenden, wo akuter Wassermangel herrscht und die Bewohner*innen überall leere Wasserkanister mit der Aufschrift Aqua aufhängen, um auf das Problem aufmerksam zu machen.
Überall hörten wir Berichte von Einheimischen über die Auswirkungen des Klimawandels: Schnee auf der bretonischen Insel Orleans, wo bislang niemals Schnee gefallen war. Ein enormer Temperaturanstieg im Norden Finnlands, der im Frühjahr innerhalb weniger Tage den Schnee schmelzen ließ, was starke Überschwemmungen zur Folge hatte. Weit hinter dem Polarkreis eine Temperatur von 25 Grad in der Stadt Narvik, wo das Thermometer sonst selten über 15 Grad klettert.
Verbrante Wälder in Portugal und Trockenheit in vielen Teilen Europas
Man könnte diese Aufzählung noch lange fortsetzen. Natürlich trägt unsere Reise auch zu diesen Problemen bei. Auf unserer Fahrt haben wir etwa 8 Tonnen CO2 produziert. Das ist enorm viel und wir möchten versuchen unseren CO2-Fußabdruck zukünftig zu verringern.
Irgendwann während der Reise dachte ich: »Alleine wegen der vielen Erfahrungen, die wir in diesem Jahr machen durften, hat sich dieses Leben gelohnt«. Die Entscheidung, für ein Jahr den gewohnten Alltag zu verlassen, war richtig und ich bin dankbar, dass wir diese Möglichkeit von unseren Arbeitgebern erhalten haben, denn es war ein Ausstieg mit der Sicherheit. Nach einem Jahr können wir wieder an die bisherige Arbeitsstelle zurückkehren.
Unvergessliche Landschaften und Erlebnisse
Aber nicht nur unsern Arbeitgebern möchten wir danken. Auch unsere Söhne, Eltern, Geschwister und die Mitbewohner*innen der Albrechtstraße haben uns für dieses Jahr den Rücken freigehalten und dafür möchten wir uns ganz besonders bedanken.
Zum Schluss sei noch gesagt: Wer eine Langzeitreise oder ein ganz anderes Projekt realisieren möchte, sollte versuchen, die Idee in die Tat umzusetzen. Allerdings ist oft eine lange Phase der Vorbereitungen notwendig. Aber der Aufwand lohnt sich auf jeden Fall.
Kurz vor dem Schritt über den Polarkreis
Es war die richtige Entscheidung, eine solche Reise noch vor dem Rentenalter zu unternehmen. Die Realisierung hat sehr viel Kraft gekostet und wer weiß, ob wir diese Energie in ein paar Jahren noch aufgebracht hätten. Wir wissen nun auch, dass unsere nächste große Reise sicherlich kürzer werden wird. Aber drei bis vier Monate Zeit braucht es aus unserer Sicht schon, um richtig in eine Region eintauchen zu können.
Die letzten Tage unserer Reise verbringen wir am Gardasee. Am südwestlichen Ufer in Manerba del Garda soll nach unserer Recherche ein Campingplatz geöffnet haben. Rio Ferienglück heißt er, was ein Hinweis darauf ist, dass der Gardasee von vielen deutschen Urlaubern heimgesucht wird.
Zwar ist die Rezeption geschlossen und es finden allerlei Bauarbeiten zur Vorbereitung der neuen Saison statt, aber ein Zettel weist darauf hin, dass wir uns einen Platz aussuchen können. Es gibt nur wenige Gäste und so können wir uns in die begehrte erste Reihe stellen, mit Blick auf den See und die schneebedeckten Berge am Ostufer.
Tagsüber ist es so warm, dass wir endlich mal wieder draußen sitzen, kochen und essen können, was wir sehr genießen. Die Nächte allerdings sind bitterkalt.
Es kommt ein wenig Urlaubsfeeling auf: Wir machen Spaziergänge entlang des Seeufers und erkunden die Umgebung mit den Fahrrädern. So richtig ist es noch nicht in unser Bewusstsein vorgedrungen, dass unser Reisejahr nun bald zu Ende sein wird.
Hier am Gardasee fällt uns wieder einmal die unschöne Privatisierung schöner Plätze auf. Überall private Stege, private Seegrundstücke und eine Dichte von Überwachungskameras, wie wir sie auf unserer Reise selten gesehen haben. Wie an vielen anderen Orten auch, scheint einiges schiefgelaufen zu sein. Die attraktivsten Spots wurden privatisiert. Wie kann es sein, dass solche schönen Locations der Allgemeinheit vorenthalten werden können und dass alleine Geld darüber entscheidet, wer Zugang zu einem Ort erhält?
Nach drei Tagen fahren wir die fantastische Uferstraße entlang nach Torbole, ein Ort, der an der Nordspitze des Sees liegt.
Hier fühlen wir uns plötzlich so, als wären wir schlagartig in die Hauptsaison geraten. Der Stellplatz ist fast ausgebucht, die Strandpromenade voller Menschen und die wenigen offenen Cafés und Restaurants sind überfüllt.
Als wir am zweiten Tag unseres Aufenthalts zu einer Fahrradtour aufbrechen passiert etwas, was wir auf dieser Reise noch nie erlebt haben: Eine Panne. Ein Stein hat sich so in der Scheibenbremse verkantet, dass eine Weiterfahrt unmöglich ist. Da wir nachlässig geworden sind und kein Werkzeug dabei haben, muss ich (Jörg) zurückfahren und welches holen. Das Problem kann gelöst werden und die Fahrradtour wie geplant beendet werden.
Seit Tagen verfolgen wir auf unterschiedlichen Apps gebannt die Wettervorhersagen. Wir müssen auf dem Weg nach Deutschland über den Brenner und den Fernpass. Für die nächsten Tage wird Kälte und Schnee vorhergesagt und wir haben keine Winterreifen. Ständig ändern sich die Vorhersagen oder sie widersprechen sich. Nach der wohl zweihundertsten Kontrolle der Wetterapps entschließen wir uns einen Tag früher als ursprünglich gedacht die Rückreise anzutreten.
Diese Entscheidung war richtig, denn wir überqueren, ohne eine Schneeflocke gesehen zu haben, die Alpen und übernachten in Füssen. Leider empfängt uns Deutschland mit starkem Regen und Kälte.
Eigentlich wollten wir die verbleibenden 1 ½ Tage für Radtouren um den Forggensee und die Gegend um Füssen nutzen, aber aufgrund des Wetters fahren wir weiter und besuchen zunächst das Hymermuseum in Bad Waldsee. Thematisch der passende Abschluss unserer Reise.
Für unsere letzte Nacht im Bus finden wir einen Stellplatz an der Therme in Bad Saulgau verbunden mit einem wärmenden Bad.
In den kommenden Tagen wollen wir auf der Strecke noch Freunde und Familie besuchen.
Wundert euch bitte nicht, wenn ihr für einige Tage nichts mehr von uns hört.
Es lohnt sich jedoch ab und zu noch einen Blick in den Block zu werfen, denn wir werden in den kommenden Tagen und Wochen ein Resümee dieser langen Reise ziehen.
Für unsere Wanderung durch die Cinque Terre steuern wir einen Stellplatz in La Spezia an. Von dort aus wollen wir mit dem Zug die Dörfer anfahren. Der Stellplatz wird sich als einer der lautesten unserer ganzen Reise erweisen, denn er liegt zwischen mehreren stark befahrenen Straßen umgeben von Industrieanlagen. Auch nachts donnern LKW vorbei, die Container in den Hafen bringen oder von dort abholen. Aber der Platz ist als Startpunkt relativ günstig und wir verbringen ohnehin nicht viel Zeit dort, weil wir viel unterwegs sein werden.
Am Nachmittag nach unserer Ankunft in La Spezia machen wir mit den Rädern einen kurzen Ausflug in die Stadt und zum Bahnhof, auch um schon mal Fahrkarten für die Anfahrt am kommenden Tag zu besorgen. Danach entscheiden wir uns, mit dem Bus zum Bahnhof zu fahren, da man als Radfahrer selbst am relativ ruhigen Sonntag um sein Leben fürchten muss und die Fahrt in die Stadt nicht sonderlich reizvoll ist.
Die Cinque Terre ist ein 12 Kilometer langer Küstenstreifen mit Klippen, die mehrere hundert Meter hoch sind und 5 Taleinschnitten, in denen jeweils ein Ort liegt. Sicherlich kennen viele die Bilder von den bunten Dörfern. Im Vorfeld haben wir gelesen, dass die Dörfer der Cinque Terre ein Besuchermagnet sind, selbst im Winter, und schon überlegt wurde, die Anzahl der täglichen Touristen zu begrenzen. Von Frühjahr bis Herbst sind ein Teil der Wanderwege kostenpflichtig.
Im Hafen von Vernazza
Am Bahnhof von La Spezia treffen wir am nächsten Morgen auf unzählige Touristen, ein Großteil aus Japan und China. Schon die Fahrt im vollbesetzten Zug ist ein Erlebnis. Die Bahnstrecke von La Spezia führt fast ausschließlich durch Tunnel, die direkt am Meer entlang führen. Ab und an verlässt der Zug für einen kurzen Moment den Tunnel und man kann einen Blick aufs tosende Meer erhaschen. Dieser Moment ist verbunden mit einem kollektiven Begeisterungsschrei der meisten Mitfahrer. Bevor alle ihre Handys gezückt haben, verschwindet der Zug wieder im Dunklen. Nur an den Bahnhöfen der einzelnen Orte bleibt Zeit für einen längeren Blick auf das Meer und die umliegenden Berge.
Wir fahren zunächst in den Ort Vernazza, um nach der Ortsbesichtigung und kurzer steiler Wanderung feststellen zu müssen, dass der Weg zu den beiden Nachbarorten gesperrt ist. Jedes Jahr müssen Teile des Wanderwegs neu gebaut oder ausgebessert werden, das betrifft besonders die Wege, die am Fuße der Hügel entlang führen.
So entschließen wir uns kurzerhand wieder, zurück ins nächste Dorf zu fahren und von dort unsere Wanderung in die drei östlich gelegenen Orte zu starten. Auch hier sind die unteren Wege wieder gesperrt, sodass wir die Alternativwege hoch über die Klippen nehmen. Über Pfade und Hunderte von sehr hohen Treppenstufen geht der Weg äußerst steil bergauf.
Auf etwa 350 Metern Höhe verläuft die Route parallel zum Hang. Die Bauern, die gleichzeitig auch Baumeister und Architekten sein müssen, haben eine wunderschöne Kulturlandschaft geschaffen. Die Hänge wurden mithilfe unzähliger Steinmauern terrassiert und auf den winzigen Flächen werden vornehmlich Wein und Oliven angebaut.
Von hier oben hat man einen unglaublichen Blick auf das Meer, die Täler und die Ortschaften, deren Häuser an den steilen Felsen kleben.
Corniglia
Als wir in Corniglia ankommen, ist es früher Nachmittag und wir entscheiden uns dafür, die nächste Etappe nach Manarola dranzuhängen. Dieser Weg ist jedoch noch steiler und anstrengender als die vorhergehende Etappe. Unterwegs geht uns buchstäblich die Puste aus und das Erklimmen der hohen Stufen geht mächtig in die Knie.
Auch auf dieser Etappe wird die Mühe wieder durch unvergleichliche Ausblicke belohnt. Man muss jedoch schwindelfrei sein, wenn man dieses Teilstück gehen möchte, da der Weg an einigen Stellen sehr nahe am Abgrund entlang führt.
Wir treffen überraschenderweise nur wenige Wanderer. Die meisten Mitreisenden scheinen an diesem Tag lediglich die einzelnen Dörfer mit dem Zug anzufahren, um nach einer kurzen Besichtigung wieder in den Zug zu steigen, um zum nächsten Ort zu fahren.
Am darauffolgenden Tag fahren wir mit dem Zug nach Levanto, um ein weiteres Teilstück zu gehen, welches nach Monterosso führt. Auch hier geht der Weg zunächst wieder steil nach oben, und führt dann jedoch, anders als am Vortag, lange Zeit durch dichte Wälder.
Kunst am Rande des Wegs
Wir spüren deutlich die Anstrengungen des Vortags in den Beinen. Insgesamt haben wir auf den drei Etappen mehr als 1000 Höhenmeter bergauf und bergab zu bewältigen.
In Monterosso sitzen wir bei frühlingshaften Temperaturen am Meer. Einige Badegäste sonnen sich bereits am Strand oder wagen sich sogar ins Wasser.
Der Hafen von Monterosso
Für uns waren auch diese Wanderungen an der Küste ein besonderes Erlebnis. In der Hochsaison ist es jedoch vermutlich kein Vergnügen im Pulk von tausenden Touristen diese Wege zu gehen. Was dann los ist, kann man sich kaum vorstellen, aber Schilder mit Flip Flop Verbot und einer Strafandrohungen bis zu 2500 Euro lassen erahnen, was einen erwarten könnte.
Auf dem Weg nach La Spezia kommen wir an Carrara vorbei und beschließen spontan, einen Abstecher zu den berühmten Marmor-Steinbrüchen zu machen. Von weitem sieht man schon die weißen Abbaugebiete an den Hängen der Berge.
Bereits die Römer bauten ab ca. 200 v. Chr. hier Marmor für ihre Statuen ab. Danach war es für einige Zeit ruhig in den Steinbrüchen. Etwa um das Jahr 1000 wurde der Ort Caraira, das heutige Carrara, gegründet. Für den Bau einer Pfarrei hat man die Steinbrüche um das Jahr 1250 reaktiviert. Im 19. Jahrhundert wurde Carrara in Italien zum Zentrum der Steinbearbeitung. 10.000 Arbeiter waren in den Steinbrüchen beschäftigt und der Abbau wurde zunehmend industrialisiert.
Im Zweiten Weltkrieg kämpfte die Wehrmacht in der Gegend rund um Carrara gegen die Partisanen und beging in den umliegenden Orten fürchterliche Massaker, denen mehrere hundert Menschen zum Opfer fielen. Die Steinbrucharbeiter, die sich vielfach der Bewegung der Anarchisten zugehörig fühlten, leisteten erbitterten Widerstand gegen die deutschen Besatzer. Während der Kämpfe wurden die Einrichtungen in den Steinbrüchen nahezu vollständig zerstört.
Heute muss sich der Marmor-Abbau gegen die Konkurrenz aus China, Indien und Brasilien behaupten. In der Kritik stehen aktuell die Arbeitsbedingungen in den Steinbrüchen, da in den vergangenen 10 Jahren acht Arbeiter bei Arbeitsunfällen getötet wurden.
Wir versuchten zu recherchieren, ob man im Winter die Steinbrüche besichtigen kann. Es werden ganzjährig Touren im Geländewagen durch die Abbaugebiete angeboten, doch als wir den Ausgangspunkt erreichen, der uns auf Google-Maps angezeigt wird, finden wir nur eine verschlossene Baracke und einen davor geparkten Landrover.
Es ist auch ein gänzlich ungeeigneter Termin für eine Besichtigungstour, denn es regnet schon seit drei Tagen in Strömen. Das Regenwasser fließt von den Hängen auf die Straßen und auf flachen Strecken bilden sich kleine Seen.
Zudem ist es Wochenende, daher stehen die Maschinen still und fast kein Mensch ist in dem Gebiet zu sehen. Es scheint nicht verboten zu sein, die Straßen zu benutzen, die durch die Steinbrüche führen. Also machen wir uns ohne Führer auf den Weg. Eine abenteuerliche Tour: Über einspurige Straßen und durch enge, unbeleuchtete Tunnel fahren wir durch das ausgedehnte Gelände. Der starke Regen und die Überflutungen verleihen der Szenerie eine unheimliche Atmosphäre.
Trotz der widrigen Wetterbedingungen war es absolut lohnenswert, diesen Abstecher zu machen und ganz individuell das Gelände zu erkunden.
Eigentlich bestand unser Plan darin, in der ersten Märzwoche wieder in Erfurt einzutreffen, um genügend Zeit zu haben, uns wieder an den Alltag zu gewöhnen, einige Besuche zu machen und dem Bus und der Ausrüstung nach der langen Reise etwas Pflege zukommen zu lassen.
Bereits auf Sardinien hatte man uns prophezeit, dass uns in der Toskana nebliges und nasses Winterwetter erwarten würde und so ist es auch gekommen.
Von Livorno aus sind wir zunächst nach Volterra gefahren, um dann über Casole d’Elsa einen riesigen Campingplatz in den Bergen anzusteuern, wo wir zwei Tage als einzige Gäste verbrachten. Dort hatten wir ein komplettes Sanitärgebäude für uns alleine.
Volterra
Eine kombinierte Radtour/Wanderung bei Casciano hat uns ziemlich geschafft. Wir waren nicht darauf vorbereitet, dass die Toscana so gebirgig sein könnte.
Ein Ausflug in die Berge: Die Reste einer Erimitage mitten im Wald
Unsere nächste Etappe führte uns nach Siena. Ich möchte darauf verzichten, viel über die doch hinreichend bekannten Städte der Toskana zu schreiben.
Siena: Piazza del Campo
Die Toskana bietet im Winter nur wenig von bekannten Postkarten-Klischees. Die Landschaft hat die gleichen Winterfarben, wie wir sie aus Deutschland kennen. Es ist für uns sehr anstrengend, in dieser Jahreszeit zu reisen. An den Abenden müssen wir oft stundenlang recherchieren, bis wir einen geeigneten und geöffneten Stellplatz gefunden haben. Vor allem eine funktionierende Stromversorgung ist aktuell für uns ein unverzichtbarer Faktor geworden. Unser kleiner Heizlüfter läuft eigentlich ständig, weil der Bus bei abendlichen oder nächtlichen Außentemperaturen zwischen null und zehn Grad sonst schnell auskühlen würde.
Als wir bei Marco unseren nächsten Platz auf einem Bauernhof gefunden haben, fassen wir einen Entschluss: Wir wollen bald nach Erfurt zurückkehren. Vor allem die lange Dunkelheit macht uns zu schaffen. Es ist ja aktuell nur knapp zehn Stunden hell und teils sehr kalt und so verbringen wir sehr viel Zeit in dem kleinen Bus. Das lange Sitzen und der Bewegungsmangel tut unseren Körpern nicht gut und zerrt auch an den Nerven. Die letzten Monate waren eine wunderbare Erfahrung, aber wir spüren, dass auch unser Erlebnisspeicher mittlerweile überläuft. Wir besuchen diese unglaublich schönen toskanischen Städte, aber wir vermissen die Begeisterung, die wir zu Beginn der Reise bei solchen Besuchen gespürt haben. Ein deutliches Zeichen dafür, dass es Zeit wird zurückzukehren.
Ein wunderbarer Platz: Der Agritourismo von Marco
Allerdings gibt es auch jetzt noch Erlebnisse, die einfach toll sind: der Besuch auf Marcos Bauernhof beispielsweise. Der junge Mann hat vor zwei Jahren damit begonnen, Camper zu beherbergen und kümmert sich mit Herz und Seele um seine Gäste. Er gibt Tipps für Ausflüge, erzählt von dem Leben in der Region und von seinen Plänen. Solche Reisebegegnungen sind oft wertvoller als der Besuch einer berühmten Stadt.
Tatsächlich hat uns die nächste berühmte Stadt, nämlich Florenz, nicht so sonderlich begeistert. Das fing schon an, als wir auf der Suche nach einem Parkplatz waren. Wir benutzen dazu eine App, in der ständig vor Parkplätzen in Citynähe gewarnt wurde. In den Kommentaren wird von aufgebrochenen Campern und gestohlenen Fahrrädern berichtet. Mit gemischten Gefühlen starteten wir daher unseren Ausflug in die Innenstadt.
Die berühmte Kuppel des Doms zu Florenz
Überall gibt es Warteschlangen: Am EIngang zum Dom und vor dem Geschäft mit den angeblich besten Pannini
Selbst jetzt im Winter ist die Stadt voll von Touristen aus aller Welt und es bilden sich lange Schlange vor angesagten Restaurants, dem Dom und anderen Sehenswürdigkeiten. Und wer die Krämerbrücke in Erfurt kennt, ist nicht so sehr beeindruckt von der berühmten Brücke Ponte Vecchio mit ihren Schmuckgeschäften.
PonteVecchio
Einen ganz anderen Eindruck hinterließ hingegen Lucca, obwohl es hier zwei Tage lang in Strömen regnete. Wir hatten einen Platz auf dem Hof einer Autowerkstatt gefunden. Sicherlich einer der ungewöhnlichsten Übernachtungsplätze auf unserer Reise, aber sehr praktisch, da fußläufig nur wenige Minuten von der historischen Altstadt entfernt, deren besonderes Merkmal darin besteht, von einer kilometerlangen Stadtmauer umgeben zu sein.
Im Hof einer Autowerkstatt: Unser Stellplatz in Lucca
Hier gefällt es uns, durch die Gassen zu gehen und hinter jeder Biegung etwas Neues zu entdecken. Man spürt, dass die Stadt in dieser Jahreszeit noch den Bewohner*innen gehört.
Lucca: Piazza dell’Anfiteatro
Man könnte hier durchaus noch einige Tage verbringen, wir möchten jedoch zum letzten Ziel unserer Reise aufbrechen und wollen versuchen in den Cinque Terre noch einige Tage zu wandern.
Unsere Fähre nach Livorno startet am Vormittag und soll abends um acht Uhr in Italien ankommen. Wir buchen auf dieser Fahrt zwei Ruhesessel, um einen festen Platz an Bord zu haben, weil wir die Erfahrung gemacht haben, dass frei verfügbare Plätze auf manchen Überfahrten begrenzt sind.
Auch diesmal sollen wir 2 Stunden vor Abfahrt am Hafen sein, so machen wir uns frühmorgens auf den Weg. Die erste Überraschung ist, dass unser Bus im Hafen von der Polizei kontrolliert wird, obwohl wir ja innerhalb von Italien unterwegs sind. Wir müssen in ein spezielles Zelt fahren, wo ein Gerät zum Durchleuchten des Gepäcks steht. Jörg muss aussteigen, die Türen öffnen, der Bus wird von unten kontrolliert und überall ein kurzer Blick hineingeworfen. Zum Glück muss die Heckklappe nicht geöffnet werden, so dass die Fahrräder dran bleiben können. In der Schlange zum Boarding sind wir die zweiten, insgesamt werden sich auch in den nächsten zwei Stunden die Reihen kaum füllen. Auch LKW fahren nicht auf die Fähre, dafür werden diesmal Unmengen von Auflegern und Anhängern in einem atemberaubenden Tempo mit speziellen Fahrzeugen auf die Fähre gefahren.
Nachdem wir das offene Meer erreichen verläßt der Lotse das Schiff.
Auf der Fähre selbst ist alles noch viel ruhiger als auf unserer letzten Fahrt von Barcelona nach Porto Torres. Fast alles ist geschlossen, wir haben jedoch den Eindruck es gibt trotzdem mehr Personal als Passagiere. Es herrscht fast eine familiäre Atmosphäre. Die Buchung der Ruhesessel war also überflüssig, aber wir haben dadurch eine schöne Abwechslung. An Board befindet sich nämlich ein sardischer Männerchor, der pünktlich zur Siesta die erste Chorprobe startet, später folgt eine weitere. Von Ruhe keine Spur, mindestens 10 Männern reden lautstark immer gleichzeitig, aber singen können sie.
Ansonsten ist die Fahrt auch deshalb recht kurzweilig, weil wir bei herrlichem Sonnenschein an Korsika, Elba und anderen kleinen Inseln vorbeifahren und es so immer etwas zu sehen gibt.
Abends überrascht uns die Fährgesellschaft sogar noch mit Lifemusik: In der Bar spielt ein Saxofonist. Nach der Ankunft mit etwas Verspätung können wir als eine der ersten die Fähre verlassen und erreichen den Campingplatz, der direkt am Meer liegt, gerade noch rechtzeitig bevor er schließt. Glück gehabt …
Am nächsten Tag fahren wir mit den Fahrräder 10 Kilometer am Meer entlang in die Stadt Livorno, der drittgrößten Stadt der Toskana. Die Hafenstadt strahlt laut Reiseführer einen herben Charme aus, was wir bestätigen können, sie gefällt uns.
Die Promenade am MeerUnerschrockene baden im Februar im Meer
Wir besuchen den Mercoado Centrale, wo es am Samstagmorgen in der Halle und besonders außen von Menschen wimmelt. Die Halle wurde Ende des 19. Jahrhunderts erbaut, ist 95 Meter lang. Wir haben im Laufe der Reise viele Märkte besucht, aber hier begeistert uns vor allem das besondere Gemüse, der Fisch und die Vielfalt an verschiedenen Broten.
Anschließend schlendern an den Kanälen durch die Altstadt, auch Venezia Nuova genannt, und fahren durch die Hafenanlagen.
Einen weiteren Ausflug machen wir zu einem der bekanntesten Wallfahrtsorte der Toskana: Santuario di Montenero liegt auf knapp 200 Meter Höh TVe auf einem Hügel bei Livorno und ist mit einer Standseilbahn zu erreichen.
Von außen wirkt die gesamte Klosteranlage eher schlicht, betritt man allerdings das Innere befindet man sich in einer anderen Welt.
Es gibt auch makabere Fotos von Unfallwagen und den überlebenden Fahrern. Einige Vitrinen sind vollgestopft mit Baby- und Brautkleidung. In einer Klosterapotheke werden allerlei Salben, Tinkturen und Liköre verkauft.
Die Wände sind gepflastert mit Amuletten, die von den Besucher*innen stammen. Wir vermuten, dass damit ein Dank für ein besonderes Ereignis ausgedrückt werden soll.
Drei Tage waren wir in Livorno und es kam uns so vor, als wären wir wieder in der Zivilisation. Nachdem wir auf Sardinien oft unter sehr improvisierten Bedingungen campierten, haben wir hier eine warme Dusche in einem geschlossenen und überdachten Bad sehr genossen.
Luxus auf unserem Stellplatz am Meer: Ein Kaffee bei Sonnenuntergang
In Orgosolo, einem kleines Dorf im sardischen Bergland, lebte man lange Zeit hauptsächlich von der Schafzucht. Die Geschichte von Orgosolo erinnert stark an das kleine, unbeugsame Dorf aus den Asterix und Obelix Comics. Auch in diesem Ort hatte man schon immer auf die Macht der Herrschenden gepfiffen und das Gesetz in die eigenen Hände genommen. Dadurch erreicht das Orgosolo eine traurige Berühmtheit. Zeitweise zählte man im Durchschnitt sechs Mordopfer auf 4000 Einwohner: Jährlich wohlgemerkt.
In den Gassen von Orgosolo
Es gibt schauerliche Geschichten über die Selbstjustiz in diesem Ort. So hing Mitte des 20. Jahrhunderts eine Todesliste mit 36 Namen an der Kathedrale von Orgosolo und tatsächlich wurden binnen zweier Jahre 20 dieser Personen ermordet. Auch Touristen wurden nicht verschont. 1962 wurde ein britisches Paar ermordet und Entführungen und andere Gewalttaten waren ebenfalls an der Tagesordnung. Im Jahr 2000 schossen Unbekannte auf zwei Reisebusse, trotzdem kommen die Touristen weiterhin in Scharen in diesen Ort.
Die Fassade des Rathauses, die einige Spuren von Einschüssen aufweist
Doch es gibt auch andere, positive Geschichten über diesen Orgosolo. So scheiterte das italienische Militär am Widerstand der Dorfbewohner*innen. Im Jahr 1969 wurden die Hirten aufgefordert, ihre Tiere von den Weiden zu entfernen, da das Militär dort Schießübungen abhalten wollte. Die Hirten vermuteten jedoch, dass man ihr Weideland dauerhaft zu einem Truppenübungsplatz umwandeln wollte. Schon vor einigen Jahren hatte man dort mit dem Bau von Unterkünften begonnen, die von offizieller Seite als Feriensiedlungen deklariert wurden.
Dieses Wandbild thematisiert den Widerstand gegen das Militär
Um die Schießübungen zu verhindern, wurde kurzerhand eine Besetzung des Weidelands organisiert. Rund 3000 Männer, Frauen und Kinder zogen mit Autos und landwirtschaftlichen Fahrzeugen auf die Schafweiden und hinderten das Militär am Zugang zu dem Gelände. Einige Stunden lang verhandelte man und erreichte schließlich die Zusage, dass die Schießübung nur für begrenzte Zeit durchgeführt werde. Das Militär kam danach nicht wieder und die »Ferienanlage« steht bis heute leer.
Viele der Wandbilder thematisieren das tägliche Leben und die Traditionen in Orgosolo
Heute sind es vor allem die gruseligen Geschichten aus der Vergangenheit, aber auch die unglaublich fantastische Street-Art an den Wänden der Häuser, die Besucher nach Orgosolo locken. Fast jedes Haus in der Innenstadt ist mittlerweile bemalt.
Häufig behandeln die Murales (Wandmalereien) politische Themen
Meist sind die Murales von unglaublich guter Qualität
Das erste Wandgemälde entstand 1968 anlässlich des Besuchs einer Mailänder Theatergruppe. Später begannen Schüler Flugblätter an die Fassaden zu kleben. Die Themen waren der Vietnamkrieg, der Partisanenkampf während des Faschismus und lokale Ereignisse. Als der Kunstlehrer Francesco del Casin zusammen mit seinen Schülern begann politische Bilder direkt auf die Wände zu malen, begann eine Entwicklung, die wir heute im Ort nachvollziehen können. Immer mehr lokale und ausländische Künstler nutzten die Wände des Ortes für politische Botschaften.
Noch spannender wird es, wenn man die Geschichten hinter den Bildern kennt:
Der Bauer Luigi Podda wurde 1950 bei der Feldarbeit verhaftet. Es gab den Verdacht, dass er an bewaffneten Zusammenstößen mit Carabinieri beteiligt war. Obwohl es Zeugenaussagen gab, die aussagten, dass er nicht an der Tat beteiligt war, wurde er zu lebenslanger Haft verurteilt. Nach 26 Jahren wurde er begnadigt und musste jedoch weitere 10 Jahre in Verbannung auf dem Festland leben. Quelle: Spiegel
Auch dieses Bild hat eine Geschichte:
Der 20-jährige Franco Serantini engagierte sich in der Bewegung der Anarchisten und hatte 1972 an einer Protestaktion in Pisa teilgenommen. Dort wurde er verhaftet und klagte beim Verhör über Unwohlsein. Seine Beschwerden wurden nicht ernst genommen. Am nächsten Tag fiel er ins Koma und starb. Der Gefängnisarzt wurde 1977 ermordet. Quelle Spiegel
Hunderte Wandmalereien zieren die Straßen von Orgosolo, sie erzählen von Bräuchen, Traditionen, Kultur und Widerstand der Einwohner der Barbagia. Die turbulenten Sechziger und Siebziger Jahren führten zur Entstehung der kollektiven Wandmalereien, die noch heute den Alltag der Bauern, die Machtkämpfe, soziopolitische Themen detailliert beschreiben, dazu gehören auch Frauen bei der Arbeit, reitende Männer, Hirten. Orgosolo ist eine zeitlose Attraktion, die man mindestens einmal im Leben gesehen haben sollte.
Manche Wandgemälde sind im Laufe der Jahre verblasst. Wegen ihrer Anziehungskraft auf die Touristen, beginnt man sie zu restaurieren.
Die Geschichte des kleinen Galerie-Bildes: Soll ich gehen oder nicht, scheint der Hirte den Schafschädel in seiner Hand zu fragen. 1978 sollten die Hirten die Herden in Tal treiben, damit die Flächen Zeit zur Regeneration hatten. Während dieser Zeit sollten sich die Hirten Flächen im Tal pachten, was sich manche nicht leisten konnten. „Hirten und Arbeiter vereint gegen Großgrundbesitzer und die Regierung der Bosse“, lautet die Losung auf der Fahne. Quelle Spiegel
Damit jeder weiß, wo er sich gerade befindet: Der Finger zeigt auf Orgosolo
Viele Wandgemälde behandeln auch aktuelle Themen, wie Flucht und Emigration
Nach dem beeindruckenden Ausflug in die Hochebene setzen wir unsere Rundreise entlang der Küste Sardiniens fort und steuern einen Campingplatz ganz im Süden an der Costa del Sud an. Hier in der Nähe von Pula treffen wir zum ersten Mal andere Urlauber, die zumeist aus Deutschland angereist sind und haben seit langer Zeit mal wieder einen Platz direkt am Meer.
Ein Stellplatz im Winterschlaf: Fotografie mit der Camera Obscura
Die Küste in dieser Region Sardiniens ist nur dünn besiedelt, und wirbt mit schönen Sandstränden, die im Sommer gut gefüllt sein sollen. Auch wir lassen die Fahrräder stehen und spazieren am Strand entlang, wieder ist das Meer kristallklar und blau.
Eine besondere Attraktion in Pula sind die Überreste der antiken Stadt Nora mit ihren verschiedenen Bauwerken, wie beispielsweise einen Tempel, ein römisches Theater oder die Thermalbäder. Ursprünglich waren es die Phönizier, die diesen Ort mit seinen drei Buchten als idealen Ort entdeckten, um Tauschhandel mit der hiesigen Bevölkerung zu betreiben.
Wir verlassen den Süden nach 2 Tagen, ab jetzt geht es wieder Richtung Norden. Wir werden in den nächsten Tagen bis nach Olbia fahren, wo wir mit der Fähre nach Livorno übersetzen wollen. Unser nächstes Tagesziel ist Bari Sado an der Ostküste. Zunächst fahren wir durch ein Gebiet, das sehr von Landwirtschaft und Gemüseanbau geprägt ist. Später dann kilometerweit auf einer Schnellstrasse durch unzählige Tunnel durchs Gebirge. Hier gibt es kaum Orte, alles wirkt sehr karg und einsam. Auf dem Campingplatz, der wieder in Meeresnähe liegt, werden wir sehr herzlich mit einem Espresso empfangen. Der Besitzer erklärt uns, dass er sehr viel Wert auf Nachhaltigkeit legt und die Einrichtungen meist aus recycelten Gegenständen besteht. Die Möbel an der Bar und der Abwaschplatz bestehen aus alten Paletten und in einem ausgemusterten Kühlschrank finden wir eine kleine Bibliothek.
Auch hier erfahren wir, dass der Klimawandel mittlerweile deutlich spürbar ist. Es ist aktuell eigentlich Regenzeit, nur ist bislang so gut wie kein Regen gefallen. Obwohl dies einer der wenigen offenen Plätze auf Sardinien ist, teilen wir ihn uns nur mit vier bis fünf weiteren Campern. Kein Wunder, dass derzeit auf der Insel nahezu alle touristischen Einrichtungen geschlossen haben. Wir legen zunächst einmal wieder einen Haushaltstag ein, Wäsche hat sich angehäuft, Bus und Fahrräder müssen gepflegt und gesäubert werden. Am nächsten Tag erkunden wir die Küste per Fahrrad.
Weiter geht es entlang der Ostküste, an der sich Buchten mit Sandstränden und Klippen abwechseln.
Entlang der Küste und vorbei an Weinreben und Hecken aus Kakteen
Unsere beiden nächsten Stopps führen uns wieder zu deutschen Auswandern. Ingrid lebt schon lange mit ihren Eseln, einem Pferd, drei Hunden und einer unbekannten Zahl an Katzen und Hühnern auf einem Grundstück im Nirgendwo. Es gibt keinen Strom und kein fließendes Wasser, aber ein Klo mit Blick in den Sternenhimmel, eine warme Dusche und eine Außenküche.
Die Esel und das Pferd sind sehr neugierig und wir können sie nur mit Mühe von einem Besuch im Bus abhalten.
Leider können wir nur eine Nacht bleiben, da der Solarstrom im Winter nur ausreicht, um Ingrids Kühlschrank zu betreiben und die Temperatur in den Nächten zurzeit um den Gefrierpunkt ist: Wir benötigen Strom für unsere Heizung. Auch Ingrid erzählt uns vom Klimawandel. Im vergangenen Sommer war es so heiß wie noch nie. Das Thermometer kletterte für einige Tage auf 48 Grad. Eine Temperatur, die man hier draußen ohne Klimaanlage nur schwer ertragen und überleben kann.
Unsere nächste Etappe führt uns zu Familie Morgenstern, die bereits vor 25 Jahren ausgewandert ist und auf Sardinien einen professionellen Reiterhof aufgebaut haben. Jetzt wollen sie einen Gang herunterschalten und haben die meisten Pferde verkauft. Über die App ParkForNight vermieten sie Stellplätze auf ihrem wunderschönen Hof. Es gibt hier auch einige Ferienwohnungen, die von Überwinterern genutzt werden.
Dies war der passende Ausgangspunkt, um Sardiniens Bergwelt zu erkunden. Gleich um die Ecke liegt der Monte Nieddu, der schwarze Berg. Es ist eine wilde Bergregion mit bizarren Felsformationen.
Von der Höhe hat man eine wunderbare Sicht auf die Küste und bei klarer Sicht sogar bis zur Insel Korsika. Wir sind ein Stück einem alten Köhler Steig gefolgt, wo im 19. Jahrhundert in Meilern Holzkohle produziert wurde.
Jetzt im Winter ist es sehr angenehm hier zu wandern. Im Sommer dürfte es in dieser Gegend viel zu heiß für körperliche Betätigungen sein.
Am Ende unserer Tour waren wir ganz schön geschafft, weil der Weg sehr beschwerlich war und wir schon länger keine Bergwanderung mehr unternommen hatten.